Neville Brody hat das moderne Graphikdesign geprägt wie wenige sonst. Der vierzigjährige Brite wurde in den achtziger Jahren durch seine Arbeit als Art-director des Lifestyle-Magazins The Face bekannt. In den neunziger Jahren gestaltete er das Erscheinungsbild der Fernsehsender Premiere und ORF in einem schlichten, graphisch reduzierten Stil. Jetzt entwickelt er mit seinem siebenköpfigen Designteam auch interaktive Oberflächen für das World Wide Web.
ZEIT: Was unterscheidet Web-Design von Design für andere Medien?
Brody: Die beschränkte Technologie zwingt einen, eine eigene Bildsprache zu kreieren, die die Eigenheiten des Web berücksichtigt. Dazu gehören zum Beispiel die niedrige Bildschirmauflösung, die geringe Farbtiefe und die Tatsache, daß die Benutzer unterschiedliche Bildschirmformate und Browser-Programme verwenden. Beim Web Design kommt es vor allem darauf an, wie man die Interaktion mit dem Nutzer gestaltet. Es hat mehr mit Architektur als mit Graphik zu tun.
ZEIT: Thomas Schneider, der Designchef von Wired, sagt: Eine Web-Site zu gestalten ist eher mit der Beschilderung eines Flughafens als mit dem Layout einer Zeitschrift zu vergleichen; es kommt darauf an, daß sich die Leute dort nicht verlaufen.
Brody: Ja, eine Web-Site ist ein öffentlicher Raum im Netz, in dem sich Menschen treffen und miteinander kommunizieren, ein Raum mit Verkehrsadern, Schildern und Marktplätzen, manchmal auch mit Pflanzen, Springbrunnen und Kunstwerken. Ich habe allerdings auch Printmagazine wie The Face immer schon mit dem Bewußtsein gestaltet, daß sie ein öffentlicher Raum sind, der ein Orientierungssystem braucht. Auch bei Zeitschriften gibt es ja eine Art Navigation, sie ist nur geradliniger als bei interaktiven Medien.
ZEIT: Wie gehen Sie mit dem Problem der geringen Bandbreite des Internet um?
Brody: Die meiste Zeit verbringen wir damit, sicherzustellen, daß die Seiten sehr schnell geladen werden können. Die großen "Navigationspläne" bei unserem Projekt FontNet brauchen nur etwa drei bis vier Sekunden, um sich aufzubauen. Wir nennen das BISM - big impact, small memory (große Wirkung, geringer Speicherplatz). Wir haben viel herumprobiert, wie man die Zahl der verwendeten Farben ohne sichtbaren Qualitätsverlust reduzieren kann. Außerdem haben wir mit verschiedenen Kompressionsverfahren experimentiert und konnten so eine Graphik, die sonst vielleicht 100 Kilobyte Speicherplatz gehabt hätte, auf vier bis fünf Kilobyte herunterreduzieren. Viele Web-Designer sehen sich ihre Seiten anscheinend einfach von der Festplatte ihres Computers an und vergessen, daß beim Normaluser mit langsamer Internet-Verbindung der Seitenaufbau viel länger dauert.
ZEIT: Liegt das vielleicht auch daran, daß viele Kunden ein üppiges 3-D-Design mit Verläufen und Schatten haben wollen?
Brody: Daß so viele Web-Sites pseudodreidimensionale Knöpfe haben, geht mir allerdings auf die Nerven. Ich verstehe nicht, welchen Sinn es haben soll, Räumlichkeit auf einer zweidimensionalen Oberfläche zu imitieren - zumal man damit längere Ladezeiten verursacht. Vieles wird nur gemacht, weil es technisch möglich ist, ohne über die Funktion nachzudenken.
ZEIT: Was empfehlen Sie Kunden, die von Ihnen eine Web-Site haben wollen?
Brody: Wir haben eine Liste von Standardfragen vorbereitet, die wir den Kunden stellen. Und die erste Frage ist: Was ist die Berechtigung für diese Site? Wenn sie auf diese Frage nur antworten können: "Weil alle es tun", empfehlen wir ihnen, es lieber sein zu lassen. Es gibt wirklich schon genug weißes Rauschen im Netz. Dann: Was will man mit der Web-Site vermitteln? Und wem? Muß man das bestehende Corporate design überarbeiten, damit es auch auf dem Bildschirm gut funktioniert? Können eventuell Stilelemente, die für das Web entwickelt wurden, in andere Medien einfließen?
ZEIT: Haben Sie eigentlich eine persönliche Homepage?
Brody: Nein, warum sollte ich? Jeder kann sein Bild und eine Liste seiner Hobbys in die ganze Welt senden, aber welchen Sinn hat es? Ich finde es eher traurig und ein wenig selbstbezogen. Selbst die Site unseres Studios besteht seit einem Jahr nur als "Baustelle" im Netz. Das ist ganz bezeichnend für den derzeitigen Zustand des Web aus meiner Sicht. Wie viele Sites sind wirklich einen Besuch wert? Design sollte die Funktion haben, Inhalte zugänglich zu machen, aber für viele Web-Sites scheint es als Existenzberechtigung auszureichen, "gut designt" zu sein.
Interview: Aaron Koenig