Das Streiflicht
(SZ) Es ist eine weitere große Unsicherheit über die schreibenden Deutschen gekommen, nur daß diesmal nicht die Orthographiereform daran schuld ist. Der Sächsische Genitiv sei nicht zu stoppen, meldet die dpa, und das klingt verdammt nach Krieg. Man stellt sich das förmlich vor: wie Kurt Biedenkopf in seinem Ehrgeiz, ganz Deutschland zu regieren, die Dresdner Staatskanzlei anweist, geeignete Waffen ausfindig zu machen; wie zunächst keiner etwas weiß; wie endlich ein älterer Ministerialdirigent, mehr aus Jux und um Biedenkopf auf andere Gedanken zu bringen, den früher angeblich sehr gefürchteten Sächsischen Genitiv erwähnt, der seiner Erinnerung nach irgendwo im Grünen Gewölbe liegen müßte; wie Biedenkopf: Schafft mir den Kerl! ruft und alsbald den übrigen Bundesländern ein Ultimatum zukommen läßt, wonach der Sächsische Genitiv bereits an der Zwickauer Mulde stehe und er, Biedenkopf, Kapitulationserklärungen jederzeit entgegennehme.
Wäre unser kleines Märchen Wirklichkeit, so müßten solche Kapitulationsurkunden mit der Floskel Stets zu Diensten enden. Sie ist jetzt schon auf Zigarettenautomaten zu finden und zeigt die beinahe groteske Macht, die der Sächsische Genitiv längst über uns alle hat. Richtig zum Bewußtsein kam uns das eigentlich erst nach der Wende, als die bisherige DDR, vormals Zone, auf einmal bereisbar wurde. Viele Autofahrer ratterten damals voll in eines der vielen Schlaglöcher, weil sie zu sehr damit beschäftigt waren, sich über Geschäftsnamen wie Heidis Imbiß, Ullas Grillhütte oder Erichs ff. Broilerstation zu wundern. Seither hat sich dieser Genitiv, der bis dahin bei Becks Bier und ein paar vergleichbaren Labels ein leise belächeltes Exotendasein geführt hatte, wie die Schwarzen Blattern ausgebreitet: Omas Apotheke (Kneipe in Hamburg), Mozarts Geburtshaus, Doras Blumenlädle. In Berlin wußte man sich, als der Briefaufdruck Nur innerhalb Berlins nachsenden beanstandet wurde, nicht anders zu helfen als so: Nur innerhalb von Berlin nachsenden. Daß besagter Genitiv mittlerweile auch den Nominativ Plural unterhöhlt, sei nebenbei erwähnt. Die Plattenfirma Jupiter Records suchte einmal junge Gesangstalente unter dem Motto Bengels für Engels bzw. Engels für Bengels.
Natürlich kommt die Manie nicht von ungefähr,
sondern aus dem Englischen; daher auch die Bezeichnung
(Angel)sächsischer Genitiv und die Angst mancher
Sprachhüter vor der kurz bevorstehenden definitiven
Überfremdung. Pessimisten dürfte das alte,
schöne Firmenzeichen von Electrola wie eine böse
Allegorie vor Augen stehen: Der Slogan His
masters voice und im Bild das kleine deutsche
Hündchen vor dem gewaltigen englischen
Grammophontrichter. Optimisten deuten die Szene so,
daß Trichter und Hund sich bestens unterhalten.
SZonNet: Alle Rechte vorbehalten -
Süddeutscher Verlag GmbH, München
