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Gruppenbild der Kindergartengruppen: Blume Regenbogen Schmetterling Schnecke

50 Jahre Kindergarten St. Pius


Kindergarten - einst und jetzt

oder meine Erfahrungen mit dem Kindergarten

von Karin Bohatschek

Ende 1949, ich war gerade 2 1/2 Jahre, begannen meine Erfahrungen in und mit dem Kindergarten. 2 1/2 Jahre, sie haben richtig gelesen; ich benötigte keine Windeln mehr am Tage und meine Eltern konnten mich, weil sie ein Geschäft hatten, nicht mehr zu Hause gebrauchen. Deswegen mußte ich, wie auch andere Kinder zu der damaligen Zeit, schon in den Kindergarten. Mein Kindergarten war nicht St. Pius, als Stadtkind kam ich in den städtischen Kindergarten. Er war dort, wo heute das Feuerwehrhaus steht, im Schulgebäude eingerichtet. Geleitet wurde er von Schwestern. Weil ich ein Mädchen war, kam ich zu Schwester Herona, später war Schwester Regina ihr zur Seite gestellt. Die Buben wurden von Schwester Eobana betreut. Daß Mädchen und Buben getrennt untergebracht waren, dürfte der gravierendste Unterschied zum Kindergarten St. Pius, der damals noch Caritas-kindergarten hieß, gewesen sein.

Weil wir Mädchen leiser waren, nehme ich an, waren wir im 1. Stock untergebracht, die Buben im Erdgeschoß. Auch im Garten gab es eine Buben- (rechter Gartenteil) und Mädchen-seite (linker Gartenteil).

Anfang der 50ger Jahre, als der Kindergarten St. Pius gegründet wurde und ich den städtischen Kindergarten besuchte, waren die Gruppen mit ca. 60 Kinder besetzt. Wie es auch in den meisten Familien üblich war, herrschte im Kindergarten auch ein sehr autoritärer Erziehungsstil.

Das sah so aus: Wir Kinder mußten an den Tischen sitzen und bekamen von der Erzieherin Spielmaterial in einem kleinen Schüsselchen zugeteilt. Damit hat man dann den Vormittag verbracht. Es gab für uns Holzbausteine, Steckspiele und Legematrial. In einer Vitrine waren wertvollere Spielsachen aufbewahrt. Wenn man ganz brav war, durfte man sich manchmal daraus etwas zum Spielen wünschen. Auch mit Puppen wurde am Tisch gespielt.

Daß man auf seinem Platz sitzen bleiben und ruhig sein mußte, ist wohl selbstverständlich. Wurden die Kinder zu laut, läutete die Erzieherin mit einer Glocke. Natürlich versuchten wir Kinder auch damals, dem Druck irgendwie auszuweichen. Das sah dann so aus, daß sich lebhaftere Kinder einen Platz weiter weg von der Schwester oder "Tante" suchten. So schuf man sich einen kleinen Freiraum, rückte etwas aus dem Blickfeld.

Ein wichtiges Erziehungsziel war damals, eine Autorität nicht in Frage zu stellen, sondern ihr zu folgen. Disziplin war ganz groß geschrieben. Verhielt man sich nicht wie gewünscht, wurde man bestraft. Eine damals übliche Strafe, die mich auch des öfteren traf, war in der Ecke stehen. Manchmal wurde man auch von seinen Freunden weggesetzt. So war gleich wieder Ruhe eingekehrt. Die Kinder sollten nach dem Wunsch der Eltern, gut bewahrt werden. Bei der großen Menge der Kinder konnte man nicht auf Einzelne individuell eingehen.

So machte man Bastelarbeiten in erster Linie mit Vorschulkindern. Mit ihnen wurde gefaltet (eine sehr beliebte Tätigkeit, weil sie genaues Arbeiten erforderte, kostengünstig war und keinen Schmutz verursachte), geschnitten (nicht frei wie jetzt üblich, sondern nach Schablonen, was heute in der Pädagogik vollständig abgelehnt wird), gerissen in Mosaiktechnik (die Papierschnipsel wurden dann in eine vom Erwachsenen vorgezeichnete Form gebracht) oder sie durften mit Holzstiften malen. Ich erinnere mich, daß ich ein Heft hatte, in das alle meine Arbeiten hineinkamen. Das schönste am Heft waren für mich die farbigen Seidenblätter zwischen den Seiten. Sie waren in diesen Heften eingebunden, damit nichts auf die gegenüberliegende Seite abfärben konnte.

Eine andere Beschäftigung, die auch bei den Kindern beliebt war, war das Kreisspiel. Viele Kreisspiele aus dieser Zeit sind auch heute noch üblich. Damals freuten sich die Kinder vor allem deswegen, weil sie sich da endlich einmal bewegen durften. Dem Bewegungsdrang konnte man damals, allein schon aus räumlichen Gründen in keiner Weise entgegenkommen. Zum Glück für die Kinder, gab es außerhalb des Kindergartens noch genügend Freiräume.

Gevespert wurde, wie auch im Piuskindergarten üblich, gemeinsam. Ich nahm mir immer eine Breze und eine Flasche mit Kinderkaffee mit in den Kindergarten. Wegen des Kaffees bekamen meine Eltern öfters Schwierigkeiten. Aber sie und ich blieben in Bezug auf mein damaliges Lieblingsgetränk hart.

Das Toilettegehen war ebenfalls streng reguliert. Man ging gemeinsam. Falls man wirklich einmal dazwischen austreten wollte, mußte man um Erlaubnis fragen.

Dieser sehr autoritäre Erziehungsstil setzte sich bis in die 70ger Jahre fort. Als ich 1968 meine Tätigkeit im Kindergarten "Pfarrer-Schiml-Haus" (jetziger Kastuluskindergarten) begann, gab es immer noch 40 Kinder in den Gruppen, die Pause wurde gemeinsam eingenommen und auch vieles andere nur miteinander gemacht. Auch jetzt wurde noch auf Disziplin größten Wert gelegt. Die Räume waren noch wie in der Anfangszeit eingerichtet, das heißt Materialschränke waren an die Wand gestellt. Es gab weder eine Puppen- noch eine Bauecke. Nur dem Umstand, daß das "Pfarrer-Schiml-Haus" neu gebaut war, war zu verdanken, daß es bereits eine Kinderspüle gab.

Doch waren bereits neue Strömungen zu spüren. So wurden die ersten Kinderläden eingerichtet, man sprach über den antiautoritären Erziehungsstil, Summerhill mit seinen Kinderkonferenzen wurde ein Begriff. Auch in den traditionellen Einrichtungen wurden diese Einflüsse bemerkbar. Mater Schörl entwickelte das Raumteilverfahren. Man suchte nach Möglichkeiten Beschäftigungen in kleineren Gruppen zu machen. Das Kind wurde mehr in den Mittelpunkt der Arbeit gestellt. Professor Lückert übernahm aus Amerika Ideen, die geistige Entwicklung des Kindes zu forcieren. Ein Stichwort, das durch alle Medien geisterte, war "Frühlesen". Es gab starke Tendenzen zur Verschulung der Vorschulkinder. Dieser Entwicklung wurde 1973 mit dem Kindergartengesetz ein Stück entgegengewirkt. Hier wurde der Bereich 5-6jährige eindeutig dem Kindergarten zugeordnet

Weil anerkannte Kindergärten bezuschußt wurden, verbesserte sich auch die personelle Besetzung der Gruppen. In der Regel gab es jetzt für zwei Gruppen eine Zweitkraft. Außerdem wurde die Anzahl der Kinder in den Gruppen kontinuierlich gesenkt, bis zu den jetzt noch gültigen 25 Kindern. Leider glich man den Mangel an Kindergartenplätzen mit der Umgestaltung der Ganztagsplätze in Vormittags- und Nachmittagsplätze aus.

Im Vordergrund der Arbeit stand nicht mehr das Bewahren (Bewahranstalt), sondern das Erziehen, vor allem im geistigen Bereich. Obwohl das Kindergartengesetz andere Aussagen traf, sah sich der Kindergarten als reine Vorbereitung auf die Schule. Emotionale Bereiche wurden sehr vernachlässigt, teilweise waren sie sogar verpönt. Theorien wie der "Situationsansatz" entstanden zwar vor 25 Jahren, wurden der breiten Öffentlichkeit nicht so bekannt.

Nach 10 Jahren im Pfarrer-Schiml-Haus, wechselte ich 1978 in den Kindergarten St. Pius. Als Leiterin wollte ich nun meine Vorstellungen vom Kindergarten verwirklichen. Ganz langsam wurden Veränderungen in Gang gebracht. Entgegen kam mir, daß die Eltern sehr aufgeschlossen waren. Sicherlich war es auch hilfreich, daß meine Situation damals, als berufstätige Mutter mit einem Kindergartenkind und einem Baby, den Gegebenheiten vieler anderer entsprach.

Immer wieder wurde im Haus etwas verändert. Räume wurden verlegt und anders genutzt. Die Themen bei Fortbildungen im pädagogischen Bereich veränderten sich und wirkten sich spürbar aus. Eltern wurden kritischer im positiven Sinn.

1990 kam der situationsorientierte Ansatz wieder vermehrt in das Gespräch. Immer noch war man nämlich zu sehr an den Kindern und deren Bedürfnissen vorbeigegangen. Jetzt fing man an, das Kind in den Mittelpunkt zu stellen. Wichtig war es nun die veränderte Lebenswelt der Kinder wahrzunehmen und zu versuchen, den Kindern möglichst viele Erfahrung zu verschaffen. Das Kind soll seine Umwelt, so weit als möglich, real erfahren, nicht nur über die verschiedensten Medien.

Diese Theorie war für mich so schlüssig, daß meine Kolleginnen und ich sie für unseren Kindergarten sofort aufgriffen.

Schrittweise wurden fast alle Räume in unserem Haus für die Kinder zugänglich gemacht und nach ihren Bedürfnissen gestaltet.

Ab 9.00 Uhr können unsere Kinder ihren Bewegungsdrang in der Turnhalle ausleben und dabei ihre Grobmotorik optimal trainieren. Im Bällchenbad sind Körpererfahrungen möglich, die Kinder werden durch die Bälle massiert und sie erfahren ihre Körpergrenzen. Im grünen und im blauen Zimmer sowie an den verschiedensten Stellen im Gang sind Sinneserfahrungen möglich. Das blaue Zimmer gibt den Kindern außerdem die Möglichkeit zum Träumen, zum in sich Hineinhorchen. In der Schmink- und Verkleidungsecke können sich die Kinder phantasievoll verwandeln. Werkbank und Malatelier dienen der Förderung der Feinmotorik. Hier wird mit dem vorhandenen Material kreativ umgegangen.

Auch im Gruppenleben hat sich sehr viel verändert. Wurde früher über die Köpfe der Kinder hinweg entschieden, werden sie jetzt in die Planung mit einbezogen. Themen und Projekte diskutieren wir mit den Kindern und wählen dann entsprechend aus. So sind sie mehr motiviert und lernen viel mehr.

Das Zusammenleben miteinander basiert auf Vertrauen. Es gibt nur wenige, sehr klare Regeln, die aber strikt eingehalten werden.

Wie sehr sich die Arbeit in unserem Kindergarten verändert hat, spüren wir am meisten, wenn Kinder zu uns kommen, die bereits in einem anderen Kindergarten waren. Diese Beobachtungen sind für uns immer sehr interessant.

Durch die offene Arbeit ist es dringend notwendig, die Kinder besser zu beobachten. Um jeden einzelnen so gut als möglich gerecht zu werden, müssen diese Beobachtungen schriftlich fixiert werden, damit dann die notwendigen Konsequenzen daraus gezogen werden können.

Die Arbeit auf dieser Grundlage fordert von jedem einzelnen Erzieher sehr viel Engagement. Im Gespräch kommt aber immer wieder ganz klar zum Ausdruck, daß diese Art von Arbeit sehr viel befriedigender ist.

30 Jahre als Erzieherin im Kindergarten, 50 Jahre St. Pius, von denen ich jetzt schon 20 Jahre prägen durfte, sind eine lange Zeit. Im Rückblick gab es viele Höhen und Tiefen, das Positive jedoch überwiegt. So kann ich für mich nach vorne schauen und überlegen:

Was wird mir der Kindergarten noch alles bringen!


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Zuletzt bearbeitet am 1. 8. 1998 von Wolfgang Müller (E-Mail)
mit freundlicher Genehmigung des Kindergartens St. Pius Moosburg.