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Eine kurze Geschichte zur Zeit

Von Roland Geiger

Im Laufe des kommenden Jahres wird - genauer gesagt: zum Jahreswechsel von 1999 auf 2000 - ein Thema akut, daß mindestens alle zehn und längstens alle 100 Jahre für Gesprächsstoff sorgen wird. Auf den Punkt gebracht geht es um folgende Frage: "Wann endet das Jahrzehnt?"

Am 1. Januar 1990 wünschten viele Leute, darunter der Bundeskanzler (Helmut Kohl) in seiner Neujahrs-ansprache ein frohes neues Jahr und ein glückliches neues Jahrzehnt und verabschiedeten lautstark die 80er Jahre. Andere - wenige - protestierten dagegen und läuteten vielmehr ebenso lautstark das letzte Jahr des Jahrzehnts ein.

Besonders gravierend wird diese Frage im nächsten Jahr, weil nicht nur das Jahrzehnt, sondern auch das Jahrhundert und das Jahrtausend zu Ende geht. Viele großartige und vermutlich bombastische Feiern sind geplant, um diesen würdigen Augenblick, der keine Sekunde währen wird, zu feiern, wenn sich auf einen Schlag alle acht Ziffern unseres Kalenders ändern werden. So es stimmt.

Im St. Wendeler Regional-Teil der "Saarbrücker Zeitung" fand in den Tagen nach Neujahr 1990 eine schriftliche Leserdiskussion zu diesem Thema statt, in der diverse Meinungen dargelegt wurden, zum Teil mit viel Enthusiasmus, aber leider nicht immer ganz rational.

Eine der Autoren führte zum Bleistift Papst Gregor XIII als Begründer unserer Zeitrechnung an. Gregor aber veranlaßte "lediglich" eine Korrektur des bestehenden Julianischen Kalenders, weil dieser ungenau war. Er ging im Jahre 1582 um 10 Tage vor, worauf der 05.10.1582 auf den 15.10.1582 verlegt wurde. Ferner wurde bestimmt, daß nur alle vollen Hundertjahre (das sind die mit zwei Nullen am Ende), die durch 400 teilbar sind, Schaltjahre sein sollen. Also war das Jahr 1600 ein Schaltjahr und wird es 2000 sein, aber keine Schaltjahren waren 1700, 1800 und 1900. Dieses System unterschied den Gregorianischen Kalender vom Julianischen.

Den Beginn unserer Zeitrechung kalkulierte ein syrischer Mönch namens Dionysius Exiguus im sechsten Jahrhundert nach Christus auf den Beginn des Jahres 754 AUC. AUC steht für "Anno Urbis Conditae" und bedeutet "Jahr der Stadtgründung".

Gemeint ist Rom. Die alte römische Zeitrechnung beginnt mit dem Jahr 1 AUC, dem Jahr, in dem Rom der Sage nach gegründet wurde. So wurde z.B. Hannibal in der Schlacht bei Zarma 553 AUC geschlagen und Julius Caesar 710 AUC ermordet.

Das Jahr 754 AUC wurde das Jahr 1 AD (Anno Domini = im Jahre des Herrn).

Leider unterlief dem guten Dionysius ein kleiner Fehler - er verrechnete sich um mindestens vier Jahre. Denn Herodes der Große starb bereits im Jahre 754 AUC (= 4 v. Chr.). Da er aber alle Kinder bis zum Altern von zwei Jahren töten ließ (Bibel, Neues Testament, Matthäus 2,16), muß das Datum der Geburt Christi wohl noch ein, zwei Jahre in die Vergangenheit verlegt werden. Heute geht man davon aus, daß Christus um das Jahr 7 vor Christus geboren wurde.

Dennoch wurde Dionysius' Datum ca. 250 Jahre später zur Zeit Karls des Großen anerkannt und seine Zeitrechnung übernommen. Wir zählen heute also die Tage und Jahre seit diesem Zeitpunkt "0", der Geburt Christi, laut Dionysius Exiguus.

Das erste Jahr nach Christi Geburt war das Jahr 1. Es waren nämlich seit dem Zeitpunkt "0" 365 Tage oder 1 Jahr vergangen - Christus war ein Jahr alt. Ebenso wie wir 365 Tage nach unserer Geburt unseren ersten Geburtstag feiern - ein Jahr alt werden (somit ist der Tag, den wir "Geburtstag" nennen, nicht der Tag unserer Geburt, sondern stets ein Jahrestag desselben).

Nach 2 x 365 Tagen waren 2 Jahre zu Ende, nach 10 x 365 Tagen - am 31.12.10 - war das zehnte Jahr vollendet, somit das erste Jahrzehnt abgeschlossen. Das zweite Jahrzehnt begann am 01.01.11 und fand seinen Abschluß am 31.12.20. Das erste Jahrhundert ging nach Vollendung von zehn mal zehn Jahren am 31.12.100 zu Ende, das erste Jahrtausend entsprechend am 31.12.1000.

Sehr oft hört man den Begriff "das Jahr null". Dieser Begriff ist falsch, denn die "0" hat keinen eigentlichen Wert. Sie stellt auch keinen Anfang dar, diesen bildet die "1" (wir beginnen eine Rechung mit dem "ersten", nicht mit dem "nullten" - lediglich wird im Verlagswesen eine Probenummer die "Nullnummer" genannt, wobei dann die nächste Ausgabe als erste Ausgabe bezeichnet und erst hier mit der Zählweise begonnen wird). Im römischen Zahlensystem existiert die Null gar. Die 10 dagegen hat einen Wert (vorhandene ganze zehn Einheiten). Sie bildet aber nicht den Anfang, sondern das Ende eines Zehnerintervalles. Das zweite Zehnerintervall beginnt mit 11 und endet mit 20. Folglich ist ein Jahrzehnt keinesfalls die Zeitspanne zwischen 0 und 9, sondern die Zeitspanne zwischen begonnenem Jahr 1 (1. Januar) und vollendetem Jahr 10 (31. Dezember).

Die gleiche Rechnung wird angewandt bei der Feststellung des momentanen Alters eines Menschen. An dem Tag, an dem wir unseren 10. Geburtstag feiern, haben wir das erste Lebensjahrzehnt vollendet, sind 10 Jahre alt. Doch nur für den Moment, der uns für 10 Jahre vom Moment unserer Geburt trennt. Danach sind wir schon nicht mehr 10, sondern 10 + 1 Sekunde und mehr. Mein Geburtstag ist der 27.02.1963, abends um 20:00 Uhr kam ich zur Welt. Zum Zeitpunkt, da ich dies schreibe, 23.02.1998, 20:46 Uhr, bin ich nicht 34, sondern 34 Jahre, 361 Tage und 46 Minuten alt. Ich befinde mich in meinem 36 Lebensjahr, im vierten Lebensjahrzehnt (dieses wird vollendet sein mit meinem 40. Geburtstag, nicht schon mit dem 39). Weia, wo ist die Zeit hin ...

Wie man aus dem bisher Geschriebenen ersehen kann, ist unsere Zeitrechnung eine einfache Aufzählung aller vollen Jahre, angefangen mit dem begonnenen Jahr 1 und endend (heute!) mit dem noch relativ neuen Jahr 1998. Teilt man die ganze Chose nun durch 10 zur Feststellung der Jahrzehnte (Dekaden), ergibt der Quotient keine ganze Zahl, sondern eine Dezimalzahl mit diversen Stellen hinter dem Komma, denn die bisher vergangenen Tage, 54 an der Zahl, stellen nur 54/365 des Jahres 1998 dar. Insofern existiert das bisherige Jahr 1998 nur als Dezimalstelle hinterm Komma, 0,1479452, und zur Vollendung des 200. Jahrzehnts - das sind die 90er Jahre - fehlen noch 420 Tage:

der Rest des Jahres 1998 = 54 Tage
das komplette Jahr 1999 = 365 Tage
das komplette Jahr 2000 = 366 Tage (2000 ist ein Schaltjahr)

Bei meinen Recherchen zu diesem Essay (das in leicht abgeänderter Form schon vor fast zehn Jahren erschien) habe ich mich mit verschiedenen Personen über die Thematik unterhalten. Einige gaben mir recht, andere lehnten eine Diskussion über das Thema als zu trivial ab, wieder andere brausten auf und wurden richtiggehend böse ob meiner Meinung.

Ein ehemaliger Kollege sagte etwas, das mir gut gefallen hat und mich gleichzeitig traurig stimmte. Er gab mir in meinen Berechnungen und der Schlußfolgerung (daß das neue Jahrzehnt-Jahrhundert-Jahrtausend erst mit Ende des Jahres 2000 beginnt) recht, meinte aber auch, daß er trotzdem - wie auch die restliche Welt - den großen Wechsel schon Ende nächsten Jahres feiern wird. Das ist nämlich das Problem, dem alle gegenüberstanden, die zu Neujahr 1990 ein "Glückliches Neues Jahrzehnt" wünschten. Rein vom Gefühl her ging das Jahrzehnt zu Ende, denn die "9" ist tradtionsgemäß die letzte Zahl, danach geht's von vorne los - es muß einfach von vorne losgehen. Und wenn dann nicht nur eine "9", sondern gleich dreimal die "9" fällt ... Daß es danach noch ein ganzes Jahr lang nicht von vorne losgeht, habe ich versucht zu belegen.

Damals in der Saarbrücker Zeitung bot einer der Autoren eine Wette an und sagte, daß die Jahrtausendwende auf jeden Fall in der Nacht vom 31.12.1999 auf 01.01.2000 gefeiert werden wird - auch wenn es ein Jahr zu früh gefeiert ist.

Schade drum!

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Text: © Roland Geiger - Zuletzt bearbeitet am 31.1.2000 vom © Team Moosburg Online (E-Mail) - Es gilt das Urheberrecht!