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Internierungslager: Zeitzeugen


Wernher von Braun
Wernher von Braun

Wernher von Braun an seinem Schreibtisch bei der NASA im Mai 1964. Quelle: Wikipedia

Der Raketenpionier als Häftling in Moosburg

Wernher von Braun (1912-1977), einer der bedeutendsten Protagonisten der Raumfahrtgeschichte war im Mai 1945 kurze Zeit im Civilian Internment Camp No. 6 in Moosburg interniert. Er entwickelte während des Krieges im Auftrag der Nazis die berüchtigte V2-Rakete, die nicht nur 8000 Zivilisten bei Luftangriffen in London und Antwerpen das Leben kostete, sondern auch 12000 Zwangsarbeitern bei ihrer Herstellung im KZ Dora-Mittelbau. Dennoch war diese Rakete später eine wichtige Grundlage der militärischen und zivilen Raumfahrt in Amerika.

Am 2. Mai 1945 stellte sich Wernher von Braun mit anderen Wissenschaftlern in Oberjoch (Allgäu) den US-Streitkräften, wohlwissend, daß seine Kenntnisse in Amerika hochgeschätzt sein würden. Schon vorher hatten die USA in der Aktion "Paperclip" versucht, namhafte deutsche Forscher für ihre Sache zu rekrutieren. Von Braun kam daraufhin einige Zeit nach Moosburg, wurde jedoch bald nach Landshut verlegt um schließlich in die USA zu übersiedeln, wo seine zweite Karriere begann. Er arbeitete zuerst für die US-Armee und war dann bei der NASA maßgeblich an den Mercury-, Gemini- und Apollo-Programmen beteiligt, die schließlich 1969 zur ersten bemannten Mondlandung führten.

Bereits im April 1958 erschienen in der Mainburger Zeitung unter dem Titel "Häftling von Braun - 1945 saß der Explorer-Schöpfer in Moosburg hinter Stacheldraht" drei Zeitungsartikel, die drastisch die Vehältnisse im Lager schildern. Der Internierte von Braun wurde demnach von Mitgefangenen als Verräter betrachtet, da er den Amerikanern sein Geheimwissen anvertraute und deswegen - im Gegensatz zu vielen weniger belasteten Inhaftierten - sehr schnell in Freiheit kam. Im folgenden ist der Text von 1958 wiedergegeben:


In den Baracken herrscht miese Stimmung. Die Bewacher des Internierungslagers Moosburg machen die Runde. In ihren Gesichtern steht Spott geschrieben. "Die Wanzen fressen alle Nazis", sagt einer der amerikanischen Soldaten. Er deutet auf eine Gruppe Männer, die sich einander den von unzähligen Stichen gefärbten Rücken abreiben. Sein Waffenbruder grinst und nickt mit dem behelmten Haupt.

In der Lagerküche brodelt die Suppe in den Kesseln. Ihr Duft entweicht durch die weit geöffneten Fenster. Er dringt durch alle Spalten und Ritzen in die benachbarten Baracken. "Fraß" nennen ihre Bewohner die Suppe. Und ihnen wird schon übel, wenn sie an die bevorstehende Mittagsmahlzeit denken. "Verfluchte Sauerei, dass wir dauernd aus den alten Sch...kübeln fressen müssen", sagt einer.

"Du kannst Dich ja beim Führer beschweren", erwidert ein kleiner Dicker, der mit angezogenen Beinen auf seinem Strohsack sitzt. Der Ortsgruppenleiter a.D. beißt die Zähne zusammen. Sein Gesicht läuft rot an. "Musst dich nur noch aufregen", hört der den Mann vom Feldbett jetzt sagen. Mit einem Satz steht er vor ihm. "Haltet endlich das Maul!", springt ein dritter dazwischen. "Euch haben die Amis wohl noch nicht genug geprügelt?"

Ein junger Mann pfeift vor sich hin. "Es geht alles vorüber, es geht..." Er lehnt sich an die mit Heraklith verputzte Holz wand. "Alle Tage dasselbe: die Bayern schimpfen auf die Preußen, die Preußen auf die Bayern. Ein Volk, ein Reich, ein Führer! Lasst euch doch nicht auslachen. Ihr seid euch einig, ihr..."

Wernher von Braun

Wernher von Braun (mit Gipsverband) und seine Kollegen am 2. Mai 1945, nachdem sie sich den US-Truppen gestellt haben. Quelle: Wikipedia

Er spricht nicht weiter, weil in diesem Augenblick die Tür aufgeht, knarrend wie immer. "Ach, der ist es nur", murmelt einer. Der Mann mit den dunklen, streng nach hinten gekämmten Haaren und dem kantigen Gesicht, der leger durch den Raum schlendert, gilt in den Kreisen der Mitgefangenen als "Eigenbrötler". "So sind alle Preußen", meint ein Bayer dazu. Anderen aber gefiel scheinbar das Gesicht nicht.

Der Mensch mit dem forschen Blick streift seine Jacke ab. Das scheint ihm schwer zu fallen. Wenigstens verzerrt sich sein Gesicht, als er den linken Arm bewegt. Von den 300 Männern in der Baracke wissen nur wenige, dass jener Schicksalsgenosse noch den Arm geschient hatte, als er festgenommen wurde. Zuvor war er nämlich noch das Opfer eines Autounfalls. Der Name des Mannes ist Wernher von Braun.

Der Wissenschaftler reißt das Fenster auf. Und wieder hat er Stacheldraht vor den Augen. Er war ebenso rostig wie der, den man in Peenemünde gezogen hatte, um das Raketenforschungszentrum vor dienstlich Neugierigen zu schützen. Von Braun zündet sich eine Zigarette an. Er ahnt wohl kaum, dass er einmal in dem Herstellerland dieser Zigarette eine große Rolle spielen sollte.

Wernher von Braun scheint die einzelnen Stacheln des Drahtes zu zählen. Welch ein lächerliches Hindernis für einen Mann, der den Weltenraum überwinden will. Aber doch: Am Stacheldraht endet auch die Freiheit des Häftlings von Braun. Das verdankt er der Rakete, die am 8. September des Vorjahres mit einer Tonne Sprengstoff im Kopf nach England startete. Mit Überschallgeschwindigkeit raste die V2 in 80 Kilometer Höhe in Richtung London. 4300 Exemplare folgten ihr noch, bevor die Sowjets in Peenemünde einzogen.

Sollte dies das Ende seiner Karriere gewesen sein? Nein. Von Braun glaubt nicht daran. Er weiß, dass die Amerikaner nicht nur die unterirdischen V2-Fertigungsstätten im Harz erbeutet haben, sondern auch die Männer, die sich da auskannten. Sie werden eines Tages kommen, um... Der junge Wissenschaftler, der schon als Kind in Berlin von einer Fahrt zum Mond träumte, drückt mit den Fingern die Zigarette aus. Er muss weiterarbeiten. Hier im Lager noch.

Schon einige Tage später hat Wernher von Braun einige Männer um sich versammelt. Es sind überwiegend Wissenschaftler, die ihr Gehirn für Hitlers Pläne arbeiten ließen. Und zu ihnen gesellen sich immer mehr, die nur für die Ideen Adolfs Propaganda gemacht haben. Braun spricht zu ihnen. Er hält Vorträge über die Möglichkeiten eines Starts von bemannten Raketen, während auf der anderen Seite des Stacheldrahtzaunes Ochsenkarren über die Moosburger Straßen rollten, die Holz bringen. Häftlinge müssen es zerkleinern.

Im Gefangenenlager erfahren die enttäuschten Anhänger des Führers; von den Arbeiten in Peenemünde, wo die Forscher 1936 mit dem Raketenbau begannen. Wernher von Braun, der Direktor des riesigen Projekts, war, an dem oft 15000 Menschen arbeiteten, berichtet von den zahlreichen vergeblichen Versuchen bis zum Start der ersten Rakete. Er diskutiert mit ihnen über technische Probleme. Er erklärt und berichtet dann wieder.

So hört man im Lager vom Start des ersten 14 Meter langen, 13 Tonnen schweren Projektils, angetrieben durch Verbrennungsgase von Sauerstoff und Aethyl-Alkohol. Mit einer Geschwindigkeit von 1500 Metern pro Sekunde flog die Rakete durch die Atmosphäre. Sie stürzte 192 Kilometer vom Abschusstisch entfernt wieder mit Wucht auf die Erde zurück. Man erfährt auch von den Schwierigkeiten, die Hitler den Wissenschaftlern bei der Arbeit bereitete.

Immer größer wurde der Kreis um den Wissenschaftler. Eines Tages aber sah er sich wieder allein. Die Häftlinge, die in den Baracken des Internierungslagers Moosburg hockten, distanzierten sich immer mehr von Braun. Man raunte sich zu: "Von Braun ist ein Landesverräter. Er geht nach Amerika." Nichts anderes wollte man auch von einigen anderen Wissenschaftlern gehört haben. Wie Braun, so verachtete man auch sie mehr und mehr. Die Fanatiker griffen zu allen Waffen. Noch immer ahnte von Braun aber nicht, dass sich im Moosburger Lager etwas ereignen sollte, was er sein Leben lang nicht vergessen wird.

Ob die Sonne scheint, ob unaufhörlich Regentropfen auf die Holzdächer der Baracken hämmern: Die Stimmung im Internierungslager Moosburg ist immer gleich schlecht. Einige der Gefangenen können es scheinbar immer noch nicht fassen, dass die Parteiabzeichen so schnell wertlos geworden sind. Und sie müssen dazu jetzt noch den Spott ertragen, den die Soldaten der Sieger mit ihnen treiben. Während Sowjets und Amerikaner das "tausendjährige Reich" längst ausradiert haben, wollen einige Häftlinge diesen Traum des Führers erst langsam begraben.

Die Sonne brennt auf der Haut. Lagerinsassen streiten sich um Schattenplätze. Es ist unerträglich heiß. Man weiß nicht, wer heute ein schwereres Los zu ertragen hat, die Gefangenen oder ihre Bewacher. Einer der MP-Männer nimmt seinen weißen Helm ab und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Deutsche, die das sehen, lächeln! Für einige Stunden ist der Spott auf ihrer Seite.

Durch die Fenster der Baracken links der Lagerstraße zieht ein übler Duft in die Unterkunft der Häftlinge ein. Er kommt von der Abortanlage, die nur einige Meter entfernt ist. "Da dampft es so wie in der Küche", scherzt einer, der eben von jenem überlaufenen Örtchen zurückkommt. Die Luft in den Baracken ist trocken. Man könnte ersticken.

"Wir sind ja nicht mehr lange drinnen. Wenigstens nicht alle", sagt einer der Häftlinge in der letzten Baracke links von der breiten Lagerstraße. Hass steht auf seinem Gesicht geschrieben, als er bei dem letzten Satz zu einem der Feldbetten herüberschaut. Es ist die Lagerstätte des Mannes, um den man sich vor Tagen noch regelmäßig versammelte.

Von Braun gilt im Lager Moosburg als Landesverräter. Als Verräter des Reiches, das lange zusammengebrochen ist. Noch nicht für alle? Scheinbar gibt es an diesem heißen Sommertag des Jahres 1945 immer noch Männer, die an den Sieg glauben. An den Sieg Adolfs! Und einige seiner gefangenen Anhänger hätten Wernher von Braun am liebsten noch an einem der Bäume aufgehängt, die in dem mit Stacheldraht abgezäunten Gebiet stehen.

Wie ein Kongressmann, der die Front abschreitet, zieht "Hitlers Superhirn" an all seinen Feinden im Gefangenenlager des Feindes vorüber. Es ist, als ob er dabei mitleidig über sie lächle. Wer bei von Brauns Gefangennahme nach der Flucht von Peenemünde dabei war, weiß, dass der Wissenschaftler nicht anders den Amerikanern entgegentrat. Er zählte sogar die Kriegsauszeichnungen eines US-Armee-Angehörigen und fragte ihn: "When did you get this medal?" (Wann haben Sie diesen Orden bekommen?). Die Amerikaner hatten damals grob zugefasst. Von Braun sollte aber in den nächsten Tagen schon erfahren, dass ihn die Feinde unter seinen Mitgefangenen noch schlimmer behandeln.

"Das waren die Vertrauten des Führers. Auf sie hatte er gesetzt. Von ihnen hatte das deutsche Volk die Wunderwaffe erwartet. Jetzt wechseln sie das Hemd und ziehen mit den Amerikanern. Diese Schweine, diese...", sagte ein Gauleiter a.D. Einige Männer, die vermutlich immer noch für das Hakenkreuz kämpfen wollten, haben ihn in ihre Mitte genommen.

"Den Braun und seine Leute sollte man..." Immer wieder wurde so über den Forscher von Peenemünde gesprochen. Und die so redeten, wussten wohl kaum, dass von Braun nie ein Anhänger der Hitlerschen Fahne war.

Während die Fronten schon wackelten, dachte von Braun mehr an eine Raketenfahrt zum Mond als an die vom Führer erwartete Wunderwaffe. Er entwarf das "Aggregat 9", das in 35 Minuten eine Entfernung von 4100 Kilometern überbrücken sollte, dann ein 87 Tonnen schweres Monstrum, das "A10" bezeichnet wurde. Der nächste logische Entwurf wäre der einer dreistufigen Satellitenrakete gewesen: die Voraussetzung zum Bau einer Weltraumstation.

Davon wissen die Mitgefangenen des Häftlings von Braun nichts. Alle, die ihn im Lager Moosburg anfeindeten, hatten wohl geglaubt, dass der V2-Schöpfer mit den Größen des Dritten Reiches auf besserem Fuß gestanden hat. Sie wussten wohl kaum, dass die Gestapo den jungen Professor von Braun und zwei seiner Mitarbeiter im März des Vorjahres verhaftete. Der Grund: Wernher von Braun hatte geäußert, dass es nie seine Absicht gewesen sei, eine Waffe aus der Rakete zu machen. Er und seine Männer hätten die ganze Entwicklung nur betrieben, um Geld für ihre Versuche zu bekommen. Ihr Ziel sei nach wie vor die Weltraumfahrt.

Schon als Schulbub war Wernher von Braun oft mit seinen Gedanken auf dem Mond. Während seiner Forschungstätigkeit im Dritten Reich beschäftigte er sich stets mit der Reise ins Weltall. Dann war alles aus. Und jetzt kommen die Amerikaner, um ihn zu holen. Die Mitgefangenen des Lagers hatten durchaus richtig gehört. Dass sie von Braun nicht verstehen, nimmt ihnen der Forscher nicht übel. Er geht all seinen Feinden aus dem Wege. Schüttelt oft mitleidig seinen Kopf mit dem strengen Haarscheitel, wenn er von den Gerüchten hört, die über ihn in den Baracken kursieren, die sich zweierlei Lebewesen teilen: Wanzen und Menschen.

Zahlreiche Lagerinsassen haben sich versammelt, als von Braun einige Tage später aus dem Lager abgeholt wird. Er hatte sich neben vielen seiner alten Mitarbeiter im Rahmen der "Operation Paperclip", einer Armee-Aktion zur Anwerbung deutscher Spezialisten, nach Amerika verpflichtet. Er wollte seine Forschungen für die Fahrt zum Mond bei den Amerikanern weiter betreiben.

Von Brauns Feinde kochen vor Wut, als man ihn abholt. Die Fanatiker ballen ihre Fäuste. Als der Wissenschaftler an ihnen vorbeigeführt wird, spucken sie ihn an. "Verräter!", schreien andere. Und immer wieder bespuckt man von Braun. Der bleibt stehen und schaut seinen Feinden ins Auge. Er lächelt wieder mitleidig. Die Männer bemerken es nicht. Sie spucken weiter, schließlich werfen sie dem V2-Schöpfer Steine nach.

Landshut ist Arbeitsplatz vieler Agenten geworden. In Cafés und Gaststuben halten sie sich auf. Keiner kennt die Männer, Niemand weiß, was sie unternehmen, wenn sie irgendwo Bier oder Kaffee trinken. Für den Deutschen ist es auch uninteressant. Die Amerikaner aber möchten es gerne wissen. Sie wollen und müssen es.

Besonders interessieren sich die Agenten für die alten Unteroffizierswohnungen an der Niedermayerstraße. Soldaten der US-Armee haben aber nicht nur einen hohen Stacheldrahtzaun darum gezogen. Sie bewachen auch die Häuser. Überall stehen uniformierte Posten. Bis zu den Zähnen bewaffnet.

Die Bürger der alten Herzogstadt wissen, dass man sieh am besten nicht in der Nähe des Wohnblocks aufhält, wenn man keine Unannehmlichkeiten haben will. Tag und Nacht tragen Armee-Angehörige ihre Gewehre um die Bauten. Man muss glauben, dass alle Schätze der Vereinigten Staaten darin versteckt sind.

Bewacht aber werden nur Menschen. "Nazis", flüsterte man sich zu.

"Da haben sie bestimmt den Adolf drin", scherzten einige. Was für Männer hier hinter Stacheldraht hockten, wussten am besten die Agenten. Sie arbeiteten für eine Nation, die sich ebenso für Hitlers Superhirne interessierte wie die Amerikaner. Ihre Auftraggeber saßen in dem Land, dessen Fahne Hammer und Sichel schmücken. Die Superhirne saßen aber in Landshut.

Einige der Wissenschaftler sind von den Agenten bis hierher verfolgt worden. Bei der Flucht vor den Sowjets steht ihr Leben oft auf des Messers Schneide. Erst als die Köpfe der "Wunderwaffenfabrik des Großdeutschen Reiches" von den Amerikanern eingesperrt sind, haben sie Sicherheit. Die meisten stellten sich sogar freiwillig den "Amis".

"Warum waren Sie in der Partei? Warum waren Sie nicht in der Partei? Sind Sie Kommunist? Warum haben Sie für Hitler gearbeitet? Waren Sie Soldat? Wie viele Kriegsgefangene haben Sie erschossen?"

Diese und ähnliche Fragen haben die deutschen Wissenschaftler zu beantworten, die man aus allen Gegenden in den mit Stacheldraht eingefassten Wohnblocks ins Niedermayerviertel gebracht hat. Es sieht so planlos aus. Aber es steckt System dahinter. Die Fragen wiederholen sich, die Antworten können verglichen werden. Wehe dem, der sich widerspricht!

Die Wissenschaftler antworten. Sie antworten gern. Ihnen ist es lieb, dass sie vor den Amerikanern auspacken können. Bei den Sowjets hätte man sie anders behandelt. Die Forscher wissen es genau. Auch Wernher von Braun. Sonst nämlich wäre er nicht vor den Russen aus Peenemünde geflüchtet und dann lächelnd auf die Amerikaner zugesteuert.

Auch der V2-Schöpfer sitzt in Landshut. Er ist frei und - doch gefangen. Von Moosburg hat man ihn hierher gefahren. Und mit ihm seine Helfer, Ob die Russen wissen, dass in Landshut der Mann ist. der einmal den amerikanischen Satelliten baut, der mit dem "Sputnik" gemeinsam um die Erde kreist? Ob sie deshalb die besten Agenten in die alte Herzogstadt geschickt haben? Ob jene Männer nur einen Fehlgriff machten, wenn sie andere Wissenschaftler fassten? Ob man sie wieder in Gnaden aufnahm, wenn sie vergeblich um das "Housing-Project" der amerikanischen Streitkräfte in Landshut schlichen?

Nicht nur die Agenten, sondern auch die deutschen Behörden erfahren nicht, wer in den ehemaligen Unteroffiziers-Wohnungen eingezogen ist. "Das geht euch nichts an", wird den Beamten des Einwohneramtes gesagt, als sie eine Anmeldung der Männer wünschen, die in der Nähe der Niedermayerstraße wohnen. Auch später, als Familienangehörige der Wissenschaftler eintreffen, sagt man ihnen nichts anderes.

Die meisten Landshuter erfahren erst 1947, dass der Schöpfer der V2 unter den Superhirnen war, die von den Amerikanern zur Wissenschaftlerzentrale in die Dreihelmenstadt gebracht werden.

Über den 1. März 1947 geben noch heute Papiere Auskunft, die im Standesamt der Stadt Landshut aufgehoben sind. Sie werden von den Beamten ebenso streng bewacht wie Braun damals von den Amerikanern. Nicht weil Agenten sich dafür interessieren, sondern Journalisten. Die Reporter großer Zeitschriften und Illustrierten bemühten sich vergeblich um das schwarze Buch mit dem roten Jahres schild, das im Panzer schrank aufgehoben wird.

Von Braun muss noch immer an seinen Abschied im Lager Moosburg denken. Er kann nicht vergessen, dass man ihn von allen Seiten anspuckte. Er überlegt, ob er wirklich ein Landesverräter ist, oder ob ihn die Mitgefangenen des Internierungslagers nur so nannten. Immer wieder sieht der junge Forscher nur ein Ziel vor sich: die Raketenfahrt zum Mond.

Noch ein anderer Gedanke aber bewegt den Menschen jetzt mehr als bisher: Er will heiraten. Maria, eine Cousine aus der Familie der Mutter, soll es sein. Als er das Gut seines Onkels in der Nähe von Peenemünde besuchte, lernte er sie kennen.

Es ist keine fürstliche Hochzeit mit rauschender Ballnacht. Als Wernher von Braun am 1. März 1947 seiner Cousine die Hand fürs Leben reichte, jubelt keine Menschenmenge dem Mann zu, von dem alle Deutschen zwei Jahre zuvor die "Wunderwaffe" erwarteten. Standesbeamter Daser aus Landshut liest den Text der Heiratsurkunde vor. Wernher von Braun und seine Frau Maria unterschreiben.

In der kleinen evangelischen Holzkirche ist die Trauung. Einige Meter nur vom Stacheldraht entfernt. Vor und auch in der kleinen aus Holz gebauten Notkirche wimmelt es von deutschen Polizisten, MP-Patrouillen und bulligen Beamten des FBI. Ihr Auftrag: den für Amerika kostbaren Hochzeiter beschützen. Aufpassen, dass er nicht gekidnappt wird.

Die Amerikaner sind großzügig. Sie haben von Braun eine kleine Wohnung zur Verfügung gestellt. Hier soll er seine Flitterwochen verbringen. Aber nicht ohne Bewachung, In der Wohnung quartieren sich im Auftrag der Amerikaner deutsche Polizisten ein.

Im Flur des Gebäudes stehen Munitionskisten. Alles ist abgesichert. Amerika will sich das Hitlers ehe Superhirn erhalten. Man ist in der Raketenforschung weit zurück. Der Mann, der von einer Reise zum Mond träumt, soll das aufholen. Die Polizisten achten so auf von Braun, wie ein Briefträger auf Geldsendungen. Wenn das junge Paar ausgeht, folgen in 50 Meter Abstand Polizisten. Beamte zweier Nationen - Amerikaner und Deutsche. Die Amerikaner bewaffnet, die Deutschen auch. Mit Schießübungen vertreiben sie sich die Zeit, wenn die Liebenden in einem Wald ungestört rasten wollen.

Nachts fahren Kradstreifen um das Haus der von Brauns. Sie kommen erst zur Ruhe, als sie in den Staaten sind. Mit Hilfe eines Kredits bauen sie sich in Huntsville ein kleines Häuschen. Es steht in der McClung-Street und hat die Nummer 907. Ein schöner Garten schließt sich dem Heim des Forschers an. Rosen blühen in ihm.

Heute ist Wernher von Braun einer der angesehensten Männer in den USA. Er baute den amerikanischen Satelliten. Ständig beschäftigt er sich mit der Reise zum Mond. Wenn der Forscher einmal in seinem Rosengarten etwas ausspannt, wird er gewiss noch oft an die Tage zurückdenken, an denen für ihn keine Rosen wuchsen. Er verbrachte sie in Moosburg, wo man ihn als Landesverräter bespuckte, und in Landshut, wo FBI-Bullen die Flitterwochen störten.

* Quellen:

  • Mainburger Zeitung, April 1958 (Neu abgedruckt in der Moosburger Zeitung 16.-22.1.2008)

    Bearbeitet von Werner Schwarz.

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Zuletzt bearbeitet am 29.1.2008 vom © Team Moosburg Online (E-Mail) - Es gilt das Urheberrecht!