Claude
Delaunay |
Die Titelseite des Buches
"Drôle de Guerre" zeigt, wie ein entlassener
Franzose symbolisch der Sonne der Freiheit
entgegengeht (Foto: Beer) |
Unter Zwang im Mikrokosmos der Nationen
Autor Claude Delaunay schreibt über Stalag VII A -
Ein humanistisch geprägtes Porträt
Von Walter Beer
Moosburg. Über die vergangenen Jahrzehnte ist viel
über das Kriegsgefangenenlager Stalag VII A
geschrieben worden, sowohl von deutscher Seite als auch von
den Hauptbetroffenen selbst. Nach den kürzlich
veröffentlichten Darstellungen in einer
US-Broschüre ("The Longest Mission") geht es nach
stehend in Einzelheiten aus dem Buch "Drôle de
Guerre" (Sonderbarer Krieg). Claude Delaunay hat es Anfang
der neunziger Jahre herausgebracht und darin in sehr
anschaulicher Art, mit dem aufmerksamen und kritischen
Blick eines Malers, das Lagerleben skizziert. Sein feines
Gespür, geprägt von einem europäischen
Humanismus, verleiht diesem Werk seinen besonderen Reiz.
Claude Delaunay verweist im Prolog auf sein
persönliches Glück, in ein "relativ gut
geführtes Lager" gekommen zu sein und in Moosburg von
1942 bis 1945 einem der angenehmsten Arbeitskommandos,
nämlich dem des Theaters, angehört zu haben. Alle
Rassen und Nationen seien da vertreten gewesen, Männer
jeden Alters, von 18 und jünger (jugoslawische
Widerstandskämpfer) bis 80 Jahren. Das Stalag sei von
buntscheckig gekleideten Menschen bewohnt gewesen. Ein
wahrer Mikrokosmos der Nationen sei da zwangsweise gebildet
worden.
Männer von 18 bis 80
Um das an seiner eigenen Person darzustellen, schreibt
Delaunay: "Bei der Befreiung im April 1945 trug ich eine
Kleidung der amerikanischen Panzerjäger, ein
englisches Blouson und ein herrliches, ganz neues Paar
Schuhe der italienischen Gebirgsjäger".
Die folgende Abhandlung bezieht sich
ausschließlich auf die letzten Monate vor der
Befreiung der Gefangenen durch die Amerikaner am 29. April
1945. Delaunay erinnert sich an die jede Nacht erfolgenden
Bombardierungen von München. Die Deutschen, so seine
Erfahrungen, hätten sich dazu einfallen lassen,
Franzosen zu Aufräumungsarbeiten in die bayerische
Hauptstadt zu schicken. Wörtlich heißt es dazu:
"Diese Arbeitsdienste waren absolut wirkungslos; wir taten
lediglich so, als ob wir arbeiteten. Die deutschen
Wachposten schielten nach dem nächsten Unter stand,
und wir gingen in eine Kneipe, um ein Bier zu trinken. Oder
wir wühlten im Mauerschutt und in den Ruinen, auf der
Suche nach etwas Interessantem. So kam es, dass ich eine
herrliche Sattelpistole fand.
In den Ruinen von München
Unsere Arbeit in München war ziemlich
gefährlich, denn außer dem möglichen Alarm
konnten auch durch Zeitzündung gesteuerte Bomben jeden
Augenblick losgehen. In dem Wirrwarr waren wir Gefangene
sozusagen frei. Die alten Wachposten dachten wie wir nur
daran, ihre Haut zu retten. Schließlich wurden die
Deutschen überzeugt, dass es nicht Aufgabe der
Franzosen war, unter Lebensgefahr Schaden zu beseitigen,
den die Amerikaner verursacht hatten. Wir wurden von diesem
Arbeitsdienst befreit und amerikanische Landser dafür
eingesetzt."
Apropos Amerikaner: Über sie hat sich Claude
Delaunay seine besondere Meinung gebildet. Obwohl er
möglicherweise Vorfahren aus den USA habe, wie er
betont, habe er enttäuscht feststellen müssen,
dass die Soldaten von dort "sicherlich die am wenigsten
gebildeten Bewohner des Lagers" gewesen seien. "Sie waren
furchtbar schmutzig und wussten sich gar nicht zu helfen.
Ihr einziger Zeitvertreib war der unvermeidliche,
aufreizend-monotone Baseball, den sie sofort spielten, kaum
dass sie angekommen waren. Von den Offizieren abgesehen,
waren es in der Tat große, kulturlose Kinder."
Nach diesen sehr kritischen Bemerkungen wandte sich
Delaunay in seinem Buch einer geradezu paradoxen Szenerie
in München zu. Dort hatte er miterlebt, wie in den
Filmateliers der Bavaria in Geiselgasteig trotz der
Bombenangriffe unerschütterlich gedreht wurde. In
einem Fall ging es um einen Streifen aus dem Ersten
Weltkrieg. Ein Güterzug voller Soldaten in Uniformen
und Bewaffnung von 1914, mit Blumen am Gewehr, war zur
Abfahrt "Nach Paris" bereit. "Vielleicht waren auch einige
Gefangene unter den Statisten", vermutete Claude Delaunay
wohl ziemlich richtig, denn zu solchen Sondereinsätzen
wurden auch bei anderen Gelegenheiten Leute aus dem Stalag
geholt, wie dokumentiert ist.
Eine paradoxe Filmerei
Am Fuße eines Wachturms hörte der Buchautor
eines Tages jemanden die Marseillaise pfeifen. Er schaute
hoch und erblickte einen jungen deutschen Soldaten. Er rief
ihm zu:
"Bist du Franzose?", und zu seiner nicht geringen
Überraschung antwortete der andere, er sei
Elsässer, habe seinen Militärdienst in Algerien
gemacht und sei zwangsweise einberufen worden. Bei der
Befreiung habe man den Mann ins französische
Kontingent eingliedern und entsprechend "umkleiden"
können, so dass er mit den Franzosen freigelassen
worden sei, schildert Delaunay.
Versorgungsfahrzeuge mit
Lebensmitteln vom Internationalen Roten Kreuz auf dem
Gelände von Stalag VII A (Foto:
Beer) |
In Sachen Verpflegung widmet er seinem Buch ein eigenes
Kapitel. Da heißt es im Wortlaut: "Stalag VII A im
äußersten Süden von Deutschland und Oflag
XVII (Offizierslager) in Osterreich lagen geographisch
ziemlich günstig, in der Nähe der Schweiz. Das
Rote Kreuz hatte unser Lager und die nächste Umgebung
als Verpflegungszentrum für alle in Deutschland
weilenden Kriegsgefangenen ausgewählt. Wir waren
nämlich in der Tat von Frankreich abgeschnitten. Seit
1. Dezember 1944 bekamen wir nichts mehr von Vichy und
unsere Familien hatten schon seit August nichts mehr
geschickt. Die amerikanischen Kameraden waren ganz besessen
auf französische Lebkuchen. Aber auch sie mussten
darauf verzichten."
In Delaunays Erinnerungen nimmt der Hunger einen breiten
Raum ein. Er schreibt von einem "hohen Tier" aus Genf, das
wegen der Versorgungsprobleme ins Lager kam, um mit dem
deutschen Kommandanten zu verhandeln. Ein prächtiges
weißes Auto vom Typ Talbot habe den Mann gebracht und
man habe erkennen können, dass der Wagen trotz des
Roten Kreuzes auf dem Dach erheblich beschädigt worden
war - bei einem Bombenangriff auf Landshut, wie sich
herausstellte. Delaunay: "Die Amerikaner warfen ihre Bomben
aus sehr großer Höhe ab und kümmerten sich
nicht um Kleinigkeiten."
Das "hohe Tier" aus Genf
Schließlich habe man riesengroße
amerikanische Lastwagen ankommen sehen, ganz in Weiß
und mit dem Roten Kreuz bemalt. Sie seien voll gestopft
gewesen mit Trockenmilch, Schokolade, Butter, Fleisch,
Bohnen in Dosen, Zigaretten und Nescafé. An
Freiwilligen für die Entladung habe es natürlich
nie gefehlt. Die kostbaren Güter seien in einem
Lagerhaus am Bahnhof oder ganz in der Nähe des Lagers
deponiert worden.
Auf Befehl aus Genf wurden französische Gefangene
beauftragt, die Lagerhäuser gegen Plünderungen zu
schützen. So konnte man abends ein seltsames Bild
erleben: Ungefähr 30 mit Knüppeln bewaffnete
Kameraden nahmen hinter einem französischen
Unteroffizier und unter Leitung eines deutschen Wachpostens
den Weg zum Bahnhof.
Das Lager selbst, so der habe sich im April 1945
allmählich aufgelöst. Es habe keinen Sinn mehr
gemacht, noch zu fliehen, da die Alliierten im Anmarsch
gewesen seien. Ein deutscher Hauptmann, wohl um seine
Zukunft besorgt, habe eigenhändig den Amerikanern
geholfen, die Pfosten des Stacheldrahtes auszureißen.
In dem ganzen Durcheinander hätten die Engländer
stets Haltung bewahrt. "Immer tadellos rasiert, mit gut
geputzten Schuhen bereiteten sie täglich um 5 Uhr
ihren Tee auf selbstgebastelten Blowers."
Ein ziemlich alter deutscher Wachmann von den
Landesschützen marschierte mühsam hinter einer
Kolonne von gefangenen Kanadiern. Letztere, vor Gesundheit
strotzende Burschen, hatten Mitleid mit ihm. Delaunay
berichtet das Unfassbare: Zwei Kanadier nahmen den
Deutschen zwischen sich, einer trug das Gewehr, der andere
das Gepäck. "Authentisch", beteuert der
Buchschreiber.
In überschwänglicher
Freude setzten sich die befreiten Gefangenen zu ihren
Befreiern auf den US-Panzer, der am 29. April 1945
als erster das Eingangstor zum Lager durchbrochen
hatte (Foto: Beer) |
Zuletzt ein großes Chaos
Die Lagertore seien schon Tage vor dem 29. April offen
gewesen, heißt es weiter. So hätten Franzosen
sogar Spaziergänge an die Isar machen können.
Dort hätten sie ein eigenartiges Schauspiel erlebt:
Junge SS Männer arbeiteten fieberhaft daran, die
Brücke zu verminen. Am Sonntag flog sie in die Luft,
das Lager wurde befreit.
In Siegerpose fuhren die Amis in das Camp. General
George Patton, mit Stahlheim und dekoriert mit zwei Colts,
die laut Claude Delaunay an einen Cowboy erinnerten, genoss
das Bad in der Menge. Befreier und Befreite drängten
sich auf den Panzern.
Diese literarischen Fragmente aus der Feder eines
Mannes, der fünf Jahre seiner Jugend als Gefangener
verbringen hatte müssen, sind frei von Hass. Sie
beinhalten logischerweise eine subjektive Tendenz, lassen
aber das Bemühen nach Objektivität er kennen.
Claude Delaunay hat sich mit seinen "Drôle de Guerre"
ein hohes Verdienst um die Völkerfreundschaft
erworben. Leider konnte ich ihn nicht mehr, wie vereinbart,
persönlich kennenlernen. Er starb wenige Jahre nach
der Herausgabe des Buches.
Walter Beer
Quelle:
- Artikel von © Walter Beer, Moosburger Zeitung,
29.4.2005
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung
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