Lager 145 in Kursk: Zeitzeugen |
Wilhelm Morgeneyer |
Deutsche Kriegsgefangene in KurskMein Vater Wilhelm Morgeneyer, * 6.12.1899 musste von August 1939 bis 8.5.1945 Militärdienst als Funker in Polen, Frankreich und der Sowjetunion verrichten. Am 8.5.1945 empfing die Kompanie die Kapitulationsnachricht bei Glatz. Die Russen versprachen nach Entwaffnung und Registrierung die Entlassung. Die Soldaten marschierten mit Pferdegespannen Richtung Prag. Bei Kolin wurden sie aber gefangen genommen und (wahrscheinlich über Zwischenlager) nach Kursk transportiert, wo mein Vater am 4.3.1946 verstarb. In Kursk wurden die Arbeitsfähigen im Torfstich eingesetzt. Die Kranken kamen in den Innendienst, ins Lazarett oder wurden entlassen. Die im Kursker Lager verstorbenen deutschen und ungarischen Gefangenen (es sollen ca. 10000 sein) wurden dort in Einzelgräbern begraben und ruhen bis heute dort, es sei denn, dass bauliche Änderungen die Grablage zerstörte. Das Lager befindet sich aber im Wesentlichen heute als Militärkomplex in wenig geändertem Zustand. Während der deutschen Besetzung war es Lager für die sowjetischen Gefangenen, genannt Stalag 308 (VIII E)/Z. Heute befindet sich an der Karl-Marx-Straße eine Gedenkstätte für alle Opfer. In Saporowo, 8 km von Kursk, wo das sogenannte Erholungslager war, gibt es einen Soldatenfriedhof. In Besedino, 20 km südlich von Kursk wurde 2009 ein Sammelfriedhof für 20 000 deutsche Soldaten, hauptsächlich in der Kurker Schlacht Gefallene, von Deutschen und Russen eingeweiht. Mein Vater war Nichtraucher, und nach Auskunft eines Heimkehrers tauschte er im Lager Zigaretten gegen eine Art Gutscheine für Post nach Hause. Keiner dieser Briefe kam an, sie wurden wahrscheinlich nicht abgesendet. Somit habe ich keine Berichte von ihm selber. Ein anderer Heimkehrer, Wolfgang Sondershaus, schickte aber aus dem Lungenkrankenhaus Braunlage zwei Briefe, die im Folgenden wiedergegeben werden. Ich finde ihren Inhalt zeitgeschichtlich interessant, auch authentisch und glaubwürdig. Sondershaus starb nach Angabe meiner Mutter wenige Monate später. Braunlage, den 18.5.47 Sehr geehrte Frau Morgeneyer! Zunächst muss ich mich sehr entschuldigen, dass ich sie so lange auf Nachricht warten ließ. Aber meine in der Gefangenschaft erlittene Erkrankung (Lungentuberkulose) hinderte mich immer sehr am Schreiben. Jetzt geht es aber wieder bergauf mit der Gesundheit. Leicht fällt mir das Schreiben nicht, muß ich Ihnen doch mitteilen, dass Ihr lieber Mann nicht mehr am Leben ist. Wir waren gemeinsam im Gefangenenlager Kursk (Lager Nr. 145) zusammen. Wir haben uns dort kennen gelernt und sind viel zusammen gewesen, da wir beide seit Oktober 45 nicht mehr voll arbeitsfähig waren und deshalb nur innerhalb des Lagers zur Arbeit herangezogen wurden. Wir machten nur noch Reinigungsarbeiten und haben uns gegenseitig geholfen. In der Freizeit waren wir viel zusammen und haben uns gegenseitig viel von unseren Familien erzählt und uns die noch verbliebenen Bilder gezeigt. Ende November 45 kam ich ins Lazarett und wir konnten uns nur noch wenig sehen. Ich hörte dann , dass ihr Mann im Frühjahr 46 ins Lazarett gekommen war. Leider aber in eine andere Abteilung als ich, so dass wir uns nicht mehr sahen. Auch konnte ich über seine Krankheit nichts erfahren. Als ich dann im April 46 in ein Erholungslager kam, erfuhr ich bei der Abfahrt, dass Ihr Mann gestorben sei. Ich konnte mich natürlich nicht mehr erkundigen, denn ich war schon im Auto. Als ¼ Jahr später in das Erholungslager weitere Kameraden aus Kursk kamen, wurde mir mehrfach bestätigt, dass Ihr lieber Mann gestorben war. Die Todesursache konnte mir aber niemand mitteilen. Dies ist ja auch sehr schwer, denn die russischen und auch die deutschen Ärzte geben ja keine Auskunft. Es ist mir nicht leicht gefallen, Ihnen dies zu schreiben, hatten wir doch immer gehofft, in der Heimat mal uns wieder zu sehen oder uns doch wenigstens schriftlich unterhalten zu können. Ich selbst bin ja auch nur knapp dem Tode in Russland entronnen. Wog ich doch bei der Entlassung nur 100 Pfd. Jetzt sind es schon 160 Pfd. Wenn es mir jetzt auch wieder besser geht, bin ich doch noch einige Monate arbeitsunfähig. Ich möchte nicht schließen, ohne Ihnen zu dem schweren Verlust, der Sie getroffen hat, meine herzlichste Anteilnahme auszusprechen. Kann ich doch ermessen, wie sehr Ihnen Ihr lieber Mann fehlt. Sollten Sie noch Fragen haben, die Sie beantwortet haben möchten, bin ich gern dazu bereit, soweit ich es kann. Mit bestem Gruß Ihr Wolfgang Sondershaus Braunlage,den 6.7.47 Sehr gehrte Frau Morgeneyer! Heute mittag kam Ihr Brief bei mir an und ich will Ihnen gleich antworten. Zunächst müssen Sie sich vorstellen, dass der deutsche Mensch sich in der Gefangenschaft sehr, sehr verändert, der tägliche Kampf um das Essen und die dadurch bedingten Entbehrungen macht ihn fast zum Tier. Es ist kaum denkbar, wie wir durch diese Tatsache gelitten haben. Das ununterbrochene Hungergefühl, das nur zu den Mahlzeiten etwas gemildert wird, ist furchtbar. Dadurch ist es auch zu erklären, dass der größte Teil der Gefangenen durch diese Unterernährung krank wird. An welcher Arbeitsstelle Ihr Mann gearbeitet hat, kann ich ihnen nicht sagen, da wir uns erst kennen lernten, als wir beide nicht mehr zur Außenarbeit gingen, sondern nur zu Lagerarbeit herangezogen wurden. Leider habe ich Ihren Mann seit Ende November 45 nicht mehr gesehen, weil ich zu dieser Zeit ins Lazarett kam und seit dieser Zeit nur einige Tage mal im Lager war. Im Oktober und November hielt Ihr Mann 2 Räume sauber, die von den Propagandisten und der Lagerkapelle benutzt wurden. Er musste also hauptsächlich die Fußböden scheuern und heizen. Da ich zu der gleichen Zeit an einer anderen Stelle im Lager die gleiche Arbeit leistete, haben wir uns gegenseitig im Wasserholen, Holz besorgen usw. unterstützt. Auf diese Weise waren wir täglich zusammen. Als ich dann Ende November 45 ins Lazarett kam, machte Ihr Mann diese Arbeit weiter. Da wir im Lazarett aber fast völlig vom Lager abgeschlossen waren, konnten wir uns nicht mehr sehen. Auch war etwa eine Verständigung durch Zettel usw. nicht möglich. Erst als ich am 18.4.46 im Auto zum Abtransport in ein Erholungslager stand, konnte ich mich bei Kameraden mich nach Ihrem Mann erkundigen, da ich ihm einen Gruß hinterlassen wollte. Dabei erfuhr ich, dass Ihr Mann nicht mehr am Leben sei. Als ich in diesem Erholungslager war und etwa ¼ Jahr später ein weiterer Transport aus Kursk kam, stellte ich weitere Nachforschungen an. Von diesen Kameraden erhielt ich dann die Bestätigung über den Tod Ihres Mannes. Leider konnte mir niemand etwas über die Todesursache sagen. Es tut mir daher leid, dass ich Ihnen keine genauere Auskünfte geben kann. Während unserer Freizeit waren wir beide oft zusammen und haben uns von unseren Familien erzählt und uns die noch erhaltenen Bilder gegenseitig gezeigt. In diesen Stunden haben wir uns immer sehr nach unseren Lieben gesehnt. Und ich kann Ihnen sagen, dass Ihr Mann den Tag herbeisehnte, an dem er wieder bei Ihnen sein könnte und wo er wieder für die Seinen arbeiten könnte. Es tut mir herzlich leid, dass ich Ihnen nichts Genaueres mitteilen kann. Weiß ich doch, wie sehr Sie doch viel wissen möchten. So weit ich konnte, habe ich aber alles geschrieben. Sollten Sie aber noch Fragen haben, schreiben Sie mir unbesorgt. So weit ich kann, werde ich Ihre Fragen gern beantworten. Viele Grüße! Ihr Wolfgang Sondershaus Quelle:
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Zuletzt bearbeitet am 5.12.2009 vom © Team Moosburg Online (E-Mail) - Es gilt das Urheberrecht! |