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Stalag VII A: Zeitzeugen

Ernestine Sanford

Kapitulation und Plünderung

"Ich heiße Ernestine Sanford geb. Münzloher und lebe seit 40 Jahren als amerikanische Staatsbürgerin in North Carolina, USA.

Geboren wurde ich in Moosburg, einer Kleinstadt in Bayern, wo wir während des Krieges ein Kriegsgefangenenlager hatten. Deshalb wurde Moosburg auch von Bomben verschont. Ich kann mich aber noch erinnern, daß Moosburg trotzdem bestraft wurde, indem die befreiten Gefangenen dann 24 Stunden Erlaubnis hatten zu plündern. Es wurde allerdings niemand umgebracht.

Ich habe noch vor Augen, wie die Kriegsgefangenen vorher immer in Zweierreihen mit einem oder mehreren Posten durch die Stadt gingen, meistens auf den Friedhof, die Münchener Straße hinaus nach Oberreit. Als Kind habe ich mich vor den Leuten gefürchtet. Manche arbeiteten auch im Moosburger Krankenhaus und in anderen Betrieben in der Stadt. Wir wohnten damals im Kerscher-Haus, unser Eingang war gegenüber vom Krankenhaus. Meine Großmutter mußte damals in der Küche der Schule an der Münchener Straße arbeiten, in der ein Lazarett für deutsche Soldaten untergebracht war. Auch dort waren immer Kriegsgefangene zum Arbeiten. Meine Großmutter tauschte bei ihnen Brot gegen Schokolade ein.

Mein Großvater war als Schweißer bei der Firma Steinbock beschäftigt, die damals den Rahmen für die Abschußvorrichtung der V2-Rakete herstellte. Er arbeitete unter anderem auch mit Russen, mit denen er öfter seine Brotzeit teilte. Nach der Kapitulation fanden sie irgendwie heraus, wo wir wohnten, und wir hatten das Haus voller ehemaliger Kriegsgefangener - meistens Slowaken und Russen. Sie brachten dem Großvater viele gestohlene Uhren zum Reparieren. Sie sagten immer "O Papa, du gut" und gaben ihm Zigaretten, Tabak und Schokolade aus ihren Verpflegungspaketen. Ich erinnere mich, wie mich ein junger Russe herumtrug, der versprach zu schreiben, wenn er wieder in Rußland war. Aber wir haben von keinem je wieder ein Wort gehört.

Wir mußten an der Haustür die Namen aller Bewohner anbringen, sowie ihr Geschlecht und ihr Alter. Die jungen Frauen in unserem Haus hatten Angst davor vergewaltigt zu werden. Ich erinnere mich, wie sie sich unter dem Bett versteckten. Eine junge Nachbarin ist sogar aus dem ersten Stock gesprungen, um der Vergewaltigung zu entgehen. Sie hat sich dabei den Fuß verletzt. Während der 24stündigen Plünderung boten uns einige farbige Kriegsgefangene Süßigkeiten an. So konnten nicht ins Haus kommen, weil Eisengitter vor den Fenstern waren und, glaube ich, immer noch da sind. Sie sagten: "Wir wollen Frauen. Macht auf, und wir geben euch Bonbons." Eine der jungen Frauen schlich hinten aus dem Haus und holte einen amerikanischen Soldaten, der die Frauen dann rettete.

Nach der Kapitulation gingen wir die Landshuter Straße hinunter. Die Straßen waren übersät mit leeren Patronenhülsen. Alle übriggebliebenen Männer (meistens Alte und Buben) wurden von den Amerikanern abgeführt. Ich kann heute noch den Bader M. sehen, wie er bei der Schwemm-Wirtschaft (das war damals der Gastwirt Hofer) um die Ecke schaute und dann auf einmal zu laufen anfing in Richtung Breitenberg und hinauf zu unserem Haus. Meine Großmutter hat dann, glaube ich, seine Hakenkreuz-Armbinde (es war wohl das Volkssturm-Abzeichen) verbrannt. Amerikanische Soldaten nahmen auf der Straße den deutschen Frauen ihren Schmuck ab. Das habe ich gesehen."

Anfang Quelle:

  • E-Mail von Ernestine Sanford an Moosburg Online, Dezember 1998

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