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Internierungslager: Die Evangelische Lagergemeinde


Inhalt

Quelle:
Klaus von Eickstedt: Christus unter Internierten. Neuendettelsau: Freimund-Verlag 1948.

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des © Freimund-Verlags.

Christus unter Internierten

von Dr. Klaus von Eickstedt

Bibelarbeit

Bei unzähligen Gesprächen mit unseren Kameraden konnten wir immer wieder die betrübliche Feststellung machen, daß die Mehrzahl aller Männer, selbst wenn sie evangelisch getauft und konfirmiert worden waren, so gut wie keine Kenntnis von der Heiligen Schrift hatten. Freimütig bestätigten sie uns, daß sie seit ihrer Konfirmation die Bibel nicht mehr zur Hand genommen hätten, und so wurde es eine unserer vordringlichsten Aufgaben, alle die, die guten Willens waren, wieder erst einmal mit der Bibel vertraut zu machen. Leider gab es ja nur sehr wenige neue Testamente, fast gar keine Vollbibeln im Lager. Da aber immerhin in jedem Block wenigstens ein neues Testament aufzutreiben war, konnte mit der „Bibelarbeit“ begonnen werden. Das ging zunächst so vor sich, daß unser Lagerpfarrer zu einer bestimmten Stunde in einen Block kam und mit einigen wenigen Kameraden im Freien auf einem spärlichen Stück Rasen sitzend – selbst der Rasen war spärlich in dem Viereck der Stacheldrähte – einen bestimmten Text auslegte. In meinem Block IV, dem sogenannten „Akademikerblock“ begann er mit der Bergpredigt. Lebhafte, ja hitzige Debatten entwickelten sich – in einiger Entfernung blieben verschiedene Männer stehen und betrachteten sich diese merkwürdige Gruppe. Aber es dauerte nicht allzu lange, dann kam der eine oder andere aus den beobachtenden Grüppchen heran und fragte, ob er nicht zuhören dürfte. Allerdings kam es auch vor, daß der „Ordnungsdienst“ des Lagers, von denen herbeigerufen, die an unserem Tun Ärgernis und Anstoß nahmen, versuchte, uns auseinander zu jagen mit dem Hinweis darauf, daß „Zusammenrottungen“ von den Amerikanern verboten seien. Doch das focht uns nicht an. So wurde unser Bibelkreis immer größer. Bei dieser Gelegenheit konnten wir eine bedeutsame Feststellung machen, daß nämlich das Zeugnis und Bekenntnis der Männer vor der Öffentlichkeit von größter missionarische Bedeutung ist. Es wurde uns später vielfach eingestanden, daß dieses Zeugnis in der Öffentlichkeit einen starken Eindruck hinterlassen hatte und den Entschluß hatte reifen lassen, sich diesem Kreise zu nähern. Mancher Kirchengegner war in der Tat der primitiven Auffassung gewesen, daß „Bibelkreise“, so in Form von „Bibelkränzchen“, fast ausschließlich eine Sache von alten Frauen sei! Sie wollten es gar nicht begreifen, daß hier Männer, die mit beiden Füßen auf dem Boden standen, ja Männer, von denen sie wußten, was sie draußen an der Front geleistet, welche Auszeichnungen sie erworben hatten im letzten Einsatz, daß solche Männer in all der Trübsal des Lagerdaseins freudig und aufgeschlossen sich um das Wort Gottes versammelten und um Erkenntnis der letzten Dinge rangen. Es war in der Tat sonderbar, daß Männer, die sich „Christen“ nannten, auch in ihrem äußeren Leben eine von der Mehrzahl abweichende Haltung bewiesen. Jedenfalls stürzten sie sich nicht wie Tiere auf die Kessel voll Mittagessen, sondern bemühten sich, freundlich und hilfsbereit gegen jedermann zu sein. Es war also offenbar wahr, daß es Menschen gab, die nicht nur an sich, sondern an den anderen dachten, Menschen, die Ernst machten mit der „Nächstenliebe!“

Nach einigen Monaten brachte ein Besucher aus Schweden, der Vorsitzende des Schwedischen „Christlichen Vereins Junger Männer“, dem man leider den Eintritt in das Lager verwehrt hatte, eine große Kiste voll neuer Testamente und Gesangbücher in das Lager. Nun erlebten wir die freudige Überraschung, wie begehrt plötzlich das Neue Testament war und von Kameraden erbeten wurde, von denen wir es tatsächlich nicht gedacht hätten. Jetzt konnte man die Kameraden auf ihrer Bettstatt liegen sehen und in ihrem Neuen Testament lesen. Mit einem Schlage war die Heilige Schrift „hoffähig“ geworden, keiner genierte sich mehr, darin zu lesen und es begann jene Entwicklung im Lager, die wir die „Wiederentdeckung der Bibel“ nannten. Jetzt war der Augenblick gekommen, die kleineren Bibelkreise zusammenzufassen und die Bibelarbeit ganz systematisch zu betreiben. So wurde, als im Herbst ein freier Verkehr zwischen den einzelnen Blocks erlaubt war, an jedem Tage im Anschluß an den Morgengottesdienst eine Stunde Bibelarbeit angesetzt. Diese Bibelarbeit war eine Bibelbesprechung, die etwa die Mitte hielt zwischen Bibelstunde und Bibelkreis. So konnten im Laufe der Zeit fast alle Bücher des Neuen Testaments durchgenommen werden. Was unser Lagerpfarrer in diesen Monaten geistig und physisch leistete, grenzte ans Wunderbare! Während jeder Handarbeiter, selbst wenn er nur zu den leichtesten Arbeiten eingesetzt war, eine Zusatzverpflegung, mindestens jedoch einen „Nachschlag“ beim Essen bekam, wurde diese Vergünstigung den Geistesarbeitern erst nach vielen Monaten zuteil. In der Adventszeit waren es 250-300 Männer, die zu der Bibelarbeit über die „Offenbarung des Johannes“ kamen, für die 14 Stunden angesetzt waren. Im Januar erfolgte 14 Tage lang eine Einführung in das Johannes-Evangelium. Anschließend wurden 4 Wochen der fortlaufenden Auslegung des Römerbriefes gewidmet. Ferner wurde in 10 Stunden das Thema „Verschiedenheit und Einheit der Botschaft des Neuen Testamentes“ behandelt und dabei der Blick auf die Entstehung der einzelnen Bücher, auf Lehrtypen und Kanonbildung gerichtet. „Gerade diese Verbindung einer Einführung in das Ganze eines Buches mit der Auslegung typischer oder schwieriger Einzelstücke hat stark angesprochen und das eifrige Bibellesen befruchtet. Man darf wohl sagen, daß diese Bibelwochen Höhepunkte sowohl der volksmissionarischen als auch der innergemeindlichen Arbeit waren.“ (Diese Worte sind einem Bericht unseres Lagerpfarrers entnommen.)



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