Internierungslager: Die Evangelische Lagergemeinde |
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Christus unter Interniertenvon Dr. Klaus von EickstedtRückblick auf ein Jahr GemeindearbeitDer weitere Bericht über unsere Gemeinde hinter Stacheldraht kann sich nun nicht mehr auf persönliches Erleben gründen, sondern nur noch auf die Aufzeichnungen und Schilderungen der Kameraden, die mit uns, die wir nun draußen in der Freiheit waren, in regem Briefwechsel blieben. Das Wesentliche, wie es zur Gemeindegründung kam, wie die Gemeinde wuchs, bis sie fest fundiert war und sich durchgesetzt hatte, ist ja wohl auch in dem ersten Jahre geschehen und geschildert worden. Unser erster Lagerpfarrer Wilhelm Rott hat dieses Werden und Wachsen in einem Bericht, den er über seine Tätigkeit im Lager geschrieben hat, geschildert. Ein Auszug aus diesem Bericht möge hier gebracht werden, da er noch einmal in konzentriertester Form das vor unserem Auge abrollen läßt, was in dem bisherigen Bericht darzustellen versucht wurde. Er schreibt: „Wir sehen nur, was vor Augen ist. Aber auch eine ganz nüchterne Betrachtung darf von einem unerwarteten geistlichen Ertrag der Moosburger Zeit reden. Der Pfarrer hat hier in der Unabhängigkeit und Intensität seines Dienstes den schönsten Teil seiner bisherigen Amtszeit gehabt. Hunderte haben dankbar bezeugt mit klaren, nüchternen Worten, daß sie Entscheidendes in Moosburg erlebt hätten. Aus den einlaufenden Briefen Entlassener: „Schon lange wußte ich, warum ich nach Moosburg kommen mußte.“ - „Moosburg war eine Zeit besonderen Hörens auf das Wort Gottes.“ - „Ich bin auch einer von den Vielen im Lager, die dort die Hand ihres Heilandes wieder erfaßt haben und Vergebung ihrer vielen Sünden fanden.“ - Kirchenchristen haben - wie sie sagen - in der „Schule von Moosburg“ den Reichtum des Wortes und die Herrlichkeit der Kirche erkannt und erfahren. Männer von der Peripherie der Kirche sind wirkliche Gemeindeglieder geworden mit dem ernsten Vorsatz, in Haus, Beruf und Gemeinde hinfort unter dem Wort zu leben, z.B. auch ihre Frauen zu gewinnen. Nicht wenige der ganz außerhalb Stehenden und der Verächter von Kirche und Wort Gottes haben eine völlige Umkehr erlebt. - In der Not des Zusammenbruchs und der quälenden Gefangenschaft ist das Wort der „Freiheit eines Christenmenschen“ und das allsonntägliche Gebetswort: „Befreie uns in der Gefangenschaft zu der herrlichen Freiheit Deiner Kinder“ erfahren und inbrünstig angenommen worden. - Es ist bittere Lebensschuld und Not, persönliche und politische, offenbart worden und in der Einzelbeichte sind Sünden ohne Rückhalt und Entschuldigung bekannt worden. - Und vor allem: Es ist zu einer wirklichen Gemeindebildung größten Ausmaßes gekommen, bei der man stellenweise die Gleichzeitigkeit zur neutestamentlichen Gemeindesituation spürte. Das Wort Gottes war zeitweise eine spürbare Macht im Lager. Es liegt nichts an Worten, aber vielleicht dürfte man doch von einer „Erweckung besonderer Art“ sprechen. Einer sehr nüchternen, kirchlichen Erweckung. Wenn das erste Kennzeichen einer Erweckung ein neuer und großer Hunger nach Gottes Wort, auch nach der Lektüre der Bibel bei vielen ist, so war Moosburg sicherlich nicht ohne Erweckung, deren Früchte sich ganz sicher auch draußen auswirken. Das alles ist von keinem Menschen geplant, erstrebt, getrieben worden. Es wurde versucht, von Anfang an das Wort Gottes in seinem kompromißlosen Ernst, aber auch in seiner ganzen Menschenfreundlichkeit anhaltend zu verkündigen, allgemein und besonders. Und dieses Wort fiel in die Grenzsituation des Gefangenen, Gescheiterten, die Zukunft Fürchtenden hinein. Die lange Zeit war wohl ein besonderes Geschenk. So mußte sich alles bewähren - der Reichtum der Treue Gottes zu seinem Wort, aber auch die Natur des menschlichen Herzens konnten von allen Seiten her erkannt werden. Bei der riesengroßen Entfernung des modernen Menschen von Gott helfen ja die flüchtigen Berührungen mit dem kirchlichen Raum, wie sie unsere kirchliche Praxis bieten kann, nichts. „Wir mußten in die Tiefe geführt werden“, sagten viele unserer Männer. Was hat die Männer im evangelischen Bereich angesprochen? Sicherlich auch - wie vorwiegend oder gar ausschließlich bei den Katholiken - die Autorität der Kirche. Daß in dem Chaos und all der Ratlosigkeit die Kirche in Erscheinung trat, daß diese Kirche eine undiskutierbare Wahrheit vertrat und (was sehr beachtet wurde) zur Einheit strebte, hat sehr viele aufhorchen lasen. Die Konstituierung der EKiD mit Wurm und Niemöller war ein volksmissionarisch bedeutsames Faktum. Dementsprechend auch die Tatsache der Oekumene. (Das alles war ja der Masse der Evangelischen völlig fremd und neu!) Es hat zunächst auch stark gewirkt die feste Ordnung unseres Gemeindelebens, die Intensität der Gemeindearbeit, gerade auch das tägliche Zusammenkommen, auch die Forderung, daß ein evangelischer Christ sich Sonntags zur Gemeinde verfügen müsse! Im Lager haben diese Kirchgänger (wie ein fränkischer Bauer sagte) gelernt, daß „das alles einen klaren Sinn habe.“ Der gebildete und ungebildete Protestant ist sich eigentlich darüber klar, daß in der Kirche vage und unbeweisbare Dinge vertreten werden, ja, daß es pietätlos sei, nach der Ratio, dem Glaubensgrund für das Verkündete zu fragen. Demgegenüber wirkte stark die Gegenstandsbezogenheit der Verkündigung. Darum war es auch wirklich notwendig, immer wieder darzutun, daß die Bibel ein einzigartig gutes literarisches Dokument ist, daß jedes Wort, jeder Begriff der Bibel erarbeitet sein wolle, daß unsere Glaubensentscheidung an dem Christus der Schrift fällt, daß dieser nicht einfach beiseite geschoben werden kann, daß er wirklich lebt, daß jeder andere Christus als der der Schrift ein Phantasiegebilde ist. Ist das alles wirklich wahr? Die ganze Lagersituation ermöglichte es, daß man die Anfechtung des modernen, noch immer aufklärerischen Menschen offen aussprach und nicht in falscher Scheu verschloß. - Nach unserer Erfahrung muß man heute mit drei Schuttschichten rechnen, die die Verkündigung abzutragen hat: 1. Der platte, praktische Materialismus, Diesseitigkeit und Nihilismus. 2. Die liberal - z.T. gottgläubige Religiosität („Gott in uns“). 3. Das naturwissenschaftliche Denken und Fühlen. Befreiend wirkte auch immer der Hinweis, daß allein der Glaube die Hilfe und daß wahrer Glaube nicht ein sacrificium intellectus (Opfer des Verstandes), sondern Geschenk Gottes ist und eine totale Hingabe an den wirklichen und wahren Gott - (nicht den „Gott der Philosophen“) - in sich schließt. Stark beachtet wurde auch diese Akzentuierung der biblischen Verkündigung: Die biblische Verkündigung des einen Gottes sichert die Ehrfurcht vor dem einen Menschen. „Gott ward Mensch, damit wir menschlich würden.“ |
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