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Internierungslager: Die Evangelische Lagergemeinde


Inhalt

Quelle:
Klaus von Eickstedt: Christus unter Internierten. Neuendettelsau: Freimund-Verlag 1948.

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des © Freimund-Verlags.

Christus unter Internierten

von Dr. Klaus von Eickstedt

Die Christen im Lager

Da waren nun Menschen im Lager, die zu behaupten wagten, daß es noch andere Maßstäbe gäbe, das Leben zu werten, als die, nach denen man bisher sein Leben gelebt hatte. Waren das nicht arme Irre, die in einer solchen Situation, wie alle sie dort erlebten, Gott zu loben und zu danken sich bemüßigt fühlten? Und doch: sah man sich diese Toren näher an, so waren es doch ganz vernünftige Männer, voll Gelassenheit und, man sollte es nicht für möglich halten, auch Fröhlichkeit. Gewiß, für viele blieben die Christen ein Ärgernis und eine Herausforderung, bei anderen aber kam etwas zutage, was längst verschüttet war, Erinnerungen an die Kindheit, an die gute Mutter, die über ihrem Bettchen die Hände gefaltet hatte, die schönen Geschichten und merkwürdigen Dinge, die man im Konfirmandenunterricht gehört, die man dann aber schnell über Bord geworfen hatte, denn die klugen Gefährten der Jugend und die schneidigen Lehrer konnten ja so überzeugend nachweisen, daß das alles „Blödsinn“ gewesen war. warum müßte man sich denn gerade hier an diese Dinge wieder erinnern? So brach es in einzelnen Seelen auf und stellte jeden Einzelnen vor das entscheidende Entweder – Oder! Vor die Frage, ob man sich entweder in seiner Existenz vor dem Nichts – oder vor Gott begreifen wollte und konnte! In der verzweifelten Frage: „Wo ist dieser Gott?“ begegnete bereits dieser Gott dem Menschen! Welch gnadenvolles Geheimnis! Bei diesem Fragen und Suchen nach Gott, bei diesen Fragen nach dem Sinn des Lebens, sollte da wirklich die „Kirche“ eine Antwort geben können? Aber wo war diese Kirche? Sie war da! Auch im Lager! Wie sie immer da ist, wo zwei oder drei versammelt sind in Seinem Namen!

Auch die sichtbare Kirche war da im Lager. Schon in den ersten Tagen war die katholische Kirche da. Es hatte schon etwas Imponierendes, daß sie einfach da war. Diese Tatsache wirkte auf viele, die sie früher nicht gesehen oder gar bekämpft hatten. Unerschüttert im Chaos der Welt, eine Zelle der Ordnung inmitten der Unordnung. Ein katholischer Militäroberpfarrer und zwei slowakische Prälaten dienten den morgens in die Baracke strömenden gläubigen Kameraden in Beichte und heiliger Messe. Der Eindruck, den die imponierende Zielsicherheit der katholischen Kirche im Lager hervorrief, war tiefgehend, demgegenüber war ebenso groß die innere Unsicherheit und Enttäuschung der Protestanten im Lager; denn von einer evangelischen Kirche sah man zunächst nichts. Als Beschämung und Herausforderung mußten es die evangelischen Christen im Lager, die sich noch nicht untereinander kannten, empfinden, daß eine evangelische Kirche sich nicht meldete! Da gelang es unter den Verhafteten einen alten Pfarrer herauszufinden, der bis zuletzt ein Parteiamt in der Nähe von Nürnberg innegehabt hatte und deswegen als politischer Funktionär verhaftet war. Ihn bat man, einen sonntäglichen Gottesdienst zu halten, doch das verschlimmerte nur die Lage, denn trotz aller freundlichen Bereitschaft, uns zu dienen, machte er doch auch hier kein Hehl von seiner Einstellung als „Deutscher Christ“. Aber immerhin: Gottes Wort wurde auch in brüchiger Schale gereicht, manchem zur Tröstung. Zu einer Gemeindebildung hatte seine Verkündigung aber keine Kraft. Die Herde der Gläubigen blieb zerstreut!

Da trat überraschend eine Wendung ein.

An einem Sonnabend Nachmittag, es war wohl Anfang Juli, wurde beim Zählappell bekanntgegeben, daß am kommenden Sonntag in Baracke 52 ein evangelischer Gottesdienst durch Pfarrer Rott gehalten würde. Kopf an Kopf und dicht gedrängt standen am nächsten Vormittag die Männer in der Baracke. Sitzgelegenheiten gab es noch nicht. An der Schmalseite befand sich ein Tisch mit einem kleinen, roh gezimmerten Holzkreuz darauf. Hinter diesem Tisch ein Gefreiter in zerschlissener Uniform mit Filzstiefeln an den Beinen. Für die meisten seit Jahren zum erstenmal wieder ein Choral, ein Choral in dieser Situation! Man kann verstehen, daß manchen Männern die Tränen über die abgezehrten Backen liefen. Und dann begann dieser Gefreite zu sprechen. Er hatte seiner Predigt das 3. Kapitel des Johannes-Evangeliums zugrunde gelegt, die Begegnung Christi mit Nikodemus. Wie ein Blitzstrahl fuhr dieses Wort in unsere verlorene Situation: „Auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden ...“. Dieses „Nichtverlorenwerden“, den vielen Männern gesagt, die sich bereits verloren gegeben hatten und nun, teils aus Neugierde, teils in ehrlichem Suchen zusammengeströmt waren, es grub sich in die Herzen, und erschütterte sie zutiefst. Doch dazu das andere auch: dieses Gespräch Jesu mit Nikodemus, spiegelte es nicht die Geistesverfassung so vieler sogenannter „Gebildeter“ im Lager wider, die sich vorsichtig tastend mit ihren klugen Gedanken an die letzten Fragen heranpirschen wollten, um mit dem ganzen Aufwand ihres verstandesmäßig geschulten Denkens hinter die Geheimnisse Gottes und hinter den Sinn ihres Lebens zu kommen! Nun wurde ihnen hier eine Antwort gegeben, eine Antwort wie damals dem Nikodemus, dem großen Gelehrten und Gebildeten seiner Zeit: „Wenn ihr nicht von neuem geboren werdet, so werdet ihr das Reich Gottes nicht sehen.“ Unabdingbar und radikal diese Antwort und Forderung, klar überzeugend und geistvoll die Worte des Predigers dort in unserer Wüste, in dieser halbverfallenen Baracke, vor diesen mit sich selbst zumeist zerfallenen Menschen! „Das Wort baut die Gemeinde!“ In dieser Stunde wurde der Grundstein der „evangelischen Lagergemeinde Moosburg“ gelegt. Im Wort war Christus selbst unter diese mühseligen beladenen Männer getreten. Erschüttert und still gingen sie von diesem Gottesdienst in ihre kümmerlichen Behausungen.

Am Nachmittag dieses Sonntags stand dieser Gefreite plötzlich vor meiner Bettstelle in der Baracke 6. „Sie müssen mir helfen“, sagte er. Das Gespräch, das sich dieser Bitte und Frage anschloß, wurde für meine zukünftige Tätigkeit im Lager – ja für mein ferneres Leben von entscheidender Bedeutung. Wir stellten fest, daß wir manche gemeinsame Freunde und Bekannte in meiner Heimat Pommern hatten, denn der Pfarrer Wilhelm Rott war während des Kirchenkampfes in Pommern an dem Predigerseminar Finkenwalde, das die Bekennende Kirche dort eingerichtet hatte, tätig gewesen. Anschließend war er bei Niemöller als Mitarbeiter in seiner Dahlemer Gemeinde, von 1937 – 1943 Referent in der vorläufigen Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland gewesen, bis er durch gute Freunde im OKW dem Zugriff der Gestapo entzogen, als Soldat eingezogen und nach Athen geschickt wurde, wo er in der Abteilung „Abwehr“ Dienst tat. Das wurde ihm bei der Entlassung zum Verhängnis, uns aber zu großem Glück. Wir Christen wissen, daß es kein Zufall war!

In jedem Block, der etwa 1200 Häftlinge umfaßte, wurde zunächst von Rott ein Vertrauensmann gesucht. Diese „Blockvertrauensleute“ bildeten den „Kirchenrat“. Nach einiger Zeit hatte jeder Blockvertrauensmann seinen Kreis von 8 – 10 Barackenvertrauensleuten zur Seite. Dem Lagerpfarrer war es sehr bald klar, daß hier im Moosburger Lager mit den herkömmlichen Gottesdiensten an den Sonn- und Feiertagen allein keine lebendige Gemeinde im Sinne einer Bruderschaft entstehen würde. Dazu bedurfte es einer intensiven Vertiefung des Glaubenslebens innerhalb der christlichen Gottesdienstgemeinde selbst und eines zielbewußten missionarischen Wirkens nach außen hin in die Kreise der Abseitsstehenden und doch irgendwie Suchenden hinein. Und vor allem das Allerwichtigste, hier war der Platz und die Notwendigkeit einer persönlichen Seelsorge im brüderlichen Gespräch im höchsten Maße gegeben. Um allen destruktiven und sektiererischen Tendenzen, wie sie leicht in einer Situation, wie der unseren, aufkommen, von vorneherein Einhalt zu gebieten, mußte auch eine den Umständen angepaßte und angemessene Kirchenzucht ins Auge gefaßt werden.



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