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Internierungslager: Die Evangelische Lagergemeinde


Inhalt

Quelle:
Klaus von Eickstedt: Christus unter Internierten. Neuendettelsau: Freimund-Verlag 1948.

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des © Freimund-Verlags.

Christus unter Internierten

von Dr. Klaus von Eickstedt

Die Abendmahlsgemeinde

Von einem anderen wunderbaren Geschehen soll jetzt berichtet werden, von dem Geheimnis nämlich, wie eine Gemeinde hineinwuchs in das sakramentale gottesdienstliche Leben. Was die Männer zuerst angelockt und was sie zuerst getroffen hatte, war die Predigt, diese Predigt, die hineingriff in die Not und in den Zweifel, die hineingriff mitten in das Leben dieser unserer verlorenen Situation. Gewiß, nicht nur zu Anfang, sondern es blieb so, daß die Predigt Mittelpunkt des Gottesdienstes war, aber mit der tiefen inneren Wandlung, die viele Christen dort erfuhren, wurde auch die Gabe des heiligen Abendmahls immer stärker verstanden und begehrt. Ein Kamerad schilderte aus seinem Lagerstammbuch (abgedruckt im Moosburger Brudergruß Nr. 5 Ostern 1949) die erste Abendmahlsfeier im Lager Moosburg:

„Es war am Abend eines heißen, wolkenlosen Augusttages des Jahres 1945. Wir waren vom Vertrauensmann des Lagerpfarrers zu einem Abendmahls-Gottesdienst in die Kirchbaracke 52 eingeladen worden. Etwa 30 Männer standen schweigend im Halbdämmern der noch sonnenheißen Holzbaracke. Ihre braungebrannten Gesichter waren ernst. Jeder hatte mit dem Hunger zu kämpfen und das war ein elender und jämmerlicher Kampf. Doch mit fester Stimme sangen sie:

Ein‘ feste Burg ist unser Gott,
ein‘ gute Wehr und Waffen.
Er hilft uns frei aus aller Not,
die uns jetzt hat betroffen.
Der alt‘ böse Feind,
mit Ernst er’s jetzt meint,
groß‘ Macht und viel List,
sein‘ grausam Rüstung ist,
auf Erd‘ ist nicht seinsgleichen.

Unser Pfarrer gab uns in seiner männlichen, klaren Art Kraft und sichere Hoffnung: „... Wir aber gehen als Suchende durch die Trümmer unseres zerstörten Daseins. Der Glaube an Gott gibt uns feste Zuversicht. Gott ist uns keine Idee, sondern eine Wirklichkeit. Dieser Glaube sei die Heilung unseres Lebens! ...“

In seinem feldgrauen Rock stand der Pfarrer als großer, schwarzer Schatten vor dem stillen Kerzenlicht des Altars. Auf den Betonplatten, welche die Altarflügel andeuteten, zeichnete sich der doppelte Schatten unseres Holzkreuzes ab. Die Nacht wurde allmählich Herr über den langen Sommertag. Die Worte des Schlußgebetes erfüllten den Raum: „ ... Schenke uns die herrliche Freiheit der Kinder Gottes ...“

Und nun ertönen die Einsetzungsworte des Abendmahls: „In der Nacht, da er verraten war, nahm Jesus das Brot, dankte und brach’s und gab’s seinen Jüngern und sprach: „Nehmet hin und esset, das ist mein Leib ...“

In den Händen des Pfarrers ruhte die Schale aus getriebenem Büchsenblech. Es liegen darauf die kleinen Würfel unseres Roggenbrotes, das heute den Männern das Brot des Lebens ist. Ich sehe vor mir die weiten Roggenfelder, über die in warmer Frühlingssonne Wolken des Blütenstaubes wehen. Im Flackern der Kerzen knien die Männer mit ihren ernsten Gesichtern vor dem Altar. Es kommt mir die Erinnerung an Grabsteine in barocken Kirchen, an alte Holzschnitte der Dürerzeit. – Wie ein Trost in all den Rätseln dieses verworrenen Lebens tönt unser begleitender Gesang:

„Befiehl du deine Wege und was das Herze kränkt,
der allertreusten Pflege, des, der den Himmel lenkt.
Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn,
der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“

Mein winziges Tagebuch, das ich, weil wir ja im Lager keine Aufzeichnungen machen durften, in einem kleinen, bei der Durchschleusung behaltenen Taschenkalender führte, enthält folgende zwei Stellen, die zeigen, wie gerade auch die Sprüche, mit denen wir am Abendmahlstisch entlassen wurden, ganz persönlich als Zuspruch und Weisung empfunden wurden. Abendmahl, Spruch: „Es ist ein köstlich Ding, daß das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.“ Und am 14. Oktober 1945 rot angestrichen die Stelle: „Fürchte Dich nicht, Ich habe Dich erlöst, Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du bist mein.“ Noch heute ist mir ganz lebendig, was diese beiden Sprüche für mich bedeutet haben!

Einer unserer Kameraden, Studienrat aus Oberbayern, schrieb nach der ersten Abendmahlsfeier seine Empfindungen in folgenden Versen nieder:

Eine Holzbaracke, kahle, angekohlte Wände,
Fensterlöcher, zugenagelt, ohne Glas,
Halb im Dunkeln ein Altar, den schwielenharte Hände
Roh gezimmert und geschmückt mit Kreuz und Vas.
So wird der Lagergottesdienst gehalten
für die Männer, die zum heil’gen Wein und Brot
Kommen in der Hoffnung, unsres Gottes weises Walten
Zu erkennen, auch in ihrer bittren Not. –
Und nun knie’n sie um des kleinen Altars harte Stufen.
In des Sakramentes Weihe wird ganz weit,
Selbst dieses Raumes Öde und des Priesters Worte rufen,
all die haßerfüllten Herzen nun zum Dienst bereit.
Über diesen tiefgefurchten, harten Männerzügen
Liegt ein Leuchten, quellend aus dem Gotteswort;
Die Gedanken aber zieh’n in unerkannten Flügen
Zu den Lieben hin im fernen Heimatort.
22. August 1945 Dr. Luers-Steinbach.

Diese schlichten Verse, die wahrlich nicht den Anspruch erheben, ein Kunstwerk zu sein, geben eindringlich Rahmen und Erleben der ersten Abendmahlsfeiern in unserer „Katakombenkirche“ wieder. Männer, die jahrelang des Altarsakraments entwöhnt waren oder das Abendmahl nach landesüblicher Sitte vielleicht nur einmal im Jahr einnahmen, fühlten hier im Lager immer stärker das Bedürfnis, im Kreise der Brüder das Herrenmahl zu feiern. Und so wurde, diesem Bedürfnis entgegenkommend, an jedem Donnerstag Abend ein Abendmahlsgottesdienst gehalten. Die Kameraden, mit denen man sich durch den Dienst und die Arbeit in der Gemeinde innerlich besonders verbunden wußte, empfanden das als eine Stärkung ihres Amtes und Dienstes, gemeinsam zum Tisch des Herrn zu gehen. So wurde es zu einer schönen Gepflogenheit, dann, wenn einem Kameraden aus der Gemeinde eine besondere Freude oder auch ein besonderer Schmerz zuteil wurde – mit ihm zum Tisch des Herrn zu gehen. Gerade das wurde von allen besonders stärkend und verbindend empfunden, diese im Sakrament gesuchte und gefundene „gegenseitige Tröstung der Brüder.“

So bildete sich aus der Abendmahlsgemeinde allmählich eine Kerngemeinde innerhalb der großen Sonntagsgemeinde, sie wuchs zusammen zu einer wahren Bruderschaft in Not und Hoffnung. „Daß Christus, als das Brot des Lebens, sich auch unseres leiblichen Hungers annimmt, ist von vielen geglaubt und erfahren worden“, so heißt es in einem Bericht unseres Lagerpfarrers. Dieses Hereinwachsen in das sakramentale Leben, Ausdruck für das Aufbrechen eines lebendigen Gemeindebewußtseins, macht zugleich die tiefe innere Wandlung deutlich, die mancher dort im Lager erfuhr. In den ersten Wochen und Monaten kamen nur wenige Abendmahlsgäste zum Tisch des Herrn. Im Laufe der Zeit wurden es immer mehr. Es war für uns alle eine große und erhebende Überraschung, als am ersten Karfreitags-Gottesdienst im Lager 700 – 800 Kameraden zum Tisch des Herrn kamen. Mit einer solchen Beteiligung hatten wir nicht annähernd gerechnet. Wir hatten uns vorgenommen, an diesem Tage das Abendmahl in beiderlei Gestalt zu feiern. Das schien uns durchführbar, weil uns die bayerische Landeskirche als besondere Ostergabe einige Flaschen Abendmahlswein in das Lager geschickt hatte. So begannen wir mit der Austeilung in beiderlei Gestalt. Als wir aber sahen, daß bei der großen Zahl der Kommunikanten der Wein nicht annähernd reichte, mußten wir während der Austeilung zu unserer alten Übung zurückkehren und konnten schließlich nur noch das Brot allein austeilen. Das geschah, indem der Lagerpfarrer mit mir als Presbyter durch die engen Reihen der knieenden Kameraden sich durchzwängend, die Gabe austeilte. Manch einer „draußen“ hätte vielleicht an dieser Form der Austeilung Anstoß genommen. Wir fragten unsere Gemeindeglieder nicht, bist du lutherisch, reformiert oder uniert; das konnte in unserer Situation keine Rolle spielen. Die Abendmahlsgemeinschaft war in unserem Bruderkreis so ursprünglich selbstverständlich, daß wir unsere Lage, kirchlich gesehen, durchaus nicht als „Notstand“ empfanden. Wir wußten damals noch nicht, daß man draußen unser Gemeindeleben hinter Stacheldraht vielfach als „Notstand“ bezeichnete. Wir erlebten dort im Lager wirklich „lebendige Gemeinde“, „in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt.“ Wo der gegenwärtige Herr selbst zu Seinem Tische ruft, da kann kein „Notstand“ sein. Ist nicht vielmehr Notstand dort, wo man sich gegenseitig auf Grund verschiedenartiger Lehre über das heilige Abendmahl vom Tisch des Herrn ausschließt?



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