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Internierungslager: Die Evangelische Lagergemeinde


Inhalt

Quelle:
Klaus von Eickstedt: Christus unter Internierten. Neuendettelsau: Freimund-Verlag 1948.

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des © Freimund-Verlags.

Christus unter Internierten

von Dr. Klaus von Eickstedt

Der tägliche Gottesdienst

Die Kerngemeinde im Lager versammelte sich, wenn auch nicht vollzählig, so doch in einer Stärke von etwa 100 – 150 Brüdern täglich zur Morgenandacht, die vor dem Beginn des allgemeinen Arbeitsdienstes angesetzt und zunächst noch von unserem Lagerpfarrer Rott gehalten wurde. Seine übergroße Beanspruchung – hatte er doch, wovon auch später noch zu reden sein wird, neben den Gottesdiensten und diesen Andachten wöchentlich etwa 28 – 30 Mal Bibelstunden und Vorträge zu halten – diese Beanspruchung führte zu dem Vorschlag aus der Mitte der Vertrauensleute, eine Anzahl von „Lektoren“ auszubilden., die ihm diese Morgenandachten abzunehmen in der Lage waren. Als erster begann damit unser damaliger Senior von Burgsdorff. Dann folgten andere Kameraden. Diese waren in etwa 10 Stunden in einer Art „homiletischem Laienseminar“ von unserem Lagerpfarrer zum Halten von Andachten mit freier Bibelauslegung zugerüstet worden. Jeder dieser Lektoren kam etwa einmal in der Woche heran und hielt die Morgenandacht in folgender Form, die sich dann fest einbürgerte: Lied – dann gemeinsam gesprochen Luthers Morgensegen – Schriftlesung (Psalmgebet) – gemeinsam gesprochener Wochenspruch – Lied – Bibellese mit Auslegung – Liedvers – Schlußgebet mit gemeinsamem Vaterunser – Segen und Ausgangslied. Auch einzelne Katholiken nahmen gern wegen der Bibelauslegung an unserem halbstündigen Morgengottesdienst teil, und sprachen vielfach ihre Bewunderung aus, in welcher Weise es in unserer Kirche möglich sei, Laien zur freien Wortverkündung zuzulassen. Daß in solcher Weise das Laienelement in die Verantwortung für die Gemeinde mit hineingeführt wurde, hatte im Lager eine deutlich spürbare volksmissionarische Wirkung. Nach einigen Monaten wurden neben der täglichen Morgenandacht auch Abendandachten eingeführt, damit auch die Kameraden, die schon früh zu Außenarbeiten abgerückt waren, die Möglichkeit einer täglichen gottesdienstlichen Besinnung hätten.

Eine besondere gottesdienstliche Betreuung erfuhren das Lazarett, der Frauenblock, die Kriegsverbrecherbaracke und zeitweise der SS-Block. Für die Lazarettinsassen, die nicht bettlägerig waren, fand regelmäßig in einer Lazarettbaracke am Sonntagabend Gottesdienst statt. Hierbei war der Kirchenchor ein häufiger Gast. In der psychiatrischen Station von Prof. Dr. Schneider, der später leider seinem Leben vorzeitig ein Ende setzte, fanden von Zeit zu Zeit Vortragsabende oder Schriftauslegung statt. Er seinerseits diente uns mit Vorträgen über Tiefenpsychologie und Instinktforschung, ein Gebiet, auf dem dieser Heidelberger Gelehrte wie kaum einer zu Hause war. Er hatte seine Erfahrungen in Bethel gesammelt und konnte uns wertvolle Aufschlüsse zu dem Problem der Menschenführung geben. Wichtiger als die sonntäglichen Gottesdienste im Lazarett war die laufende seelsorgerische Betreuung der Kranken durch den Lagerpfarrer; manchem konnte er das Sterben erleichtern. Leider gelang es ihm nicht, bei der amerikanischen Lagerleitung zu erwirken, daß die im Lager verstorbenen Kameraden, die außerhalb ohne Beisein des evangelischen Lagerpfarrers begraben wurden, in würdiger Form zur letzten Ruhe geleitet wurden. Wir waren recht traurig darüber, daß wir über Ort und Art der Bestattung unserer Kameraden außerhalb des Lagers nichts erfahren durften. Auch die Anverwandten erfuhren, wenn überhaupt, erst sehr spät von ihrem Verlust. Es war schon ein armselig, elendes Sterben im Lager!

Es ist schon an anderer Stelle erwähnt worden, daß eine Besonderheit die Angliederung eines Frauenblocks von etwa 3-400 Frauen an unser Männerlager war. Die psychologische Situation war hier ganz anders wie bei den Männern. Sicherlich waren im Männerlager unter den 12.000 Internierten, von denen etwa 3 bis 4.000 evangelischer Konfession waren, etwa die Hälfte antikirchlich eingestellt, aber wir trafen doch nicht auf einen verbissenen Fanatismus gegenüber den beiden christlichen Gemeinden. Das war vielfach aber bei den Frauen der Fall! Während im Männerlager mit der Zeit die abfälligen Äußerungen gegen die Betätigung der Kirchen immer geringer wurden und schließlich fast ganz aufhörten, konnte man bei der Mehrzahl der Frauen im Frauenblock dieses nicht sagen. Zwar gab es auch im Frauenblock einen kleinen treuen Kreis von etwa 20-30 Frauen und Mädchen, die fest zur Gemeinde hielten und eine kleine Gemeinde für sich bildeten. Dieser Kreis aber hatte viel Sticheleien und Gehässigkeiten auszuhalten. Eine wirklich missionarische Tätigkeit war im Frauenblock so gut wie unmöglich. Während sich die Mehrzahl der Männer und gerade diejenigen, die mitten im politischen Leben gestanden hatten, unter der Wucht der Ereignisse und der allmählich immer regelmäßiger ins Lager kommenden Nachrichten kritisch mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzten und von ihm absetzten, blieb die Mehrzahl der Frauen fanatisch dem Nationalsozialismus ergeben und jeder Kritik unzugänglich. Leider war es nicht möglich, die kirchentreuen Frauen in den Aufbau unserer Gemeinde mit hineinzubeziehen, weil sie, von hohen Festtagen abgesehen, unsere Gottesdienste und sonstigen kirchlichen Veranstaltungen nicht besuchen durften. In den ersten Monaten durfte unser Lagerpfarrer den Frauenblock in Begleitung einer amerikanischen Wache besuchen. Ende des Jahres 1945 kam als zweiter Lagerpfarrer Pastor Schneider zu uns und nahm sich des Frauenblocks und zwar der kleinen Frauengemeinde in diesem, der er mit Bibelarbeit und Vorträgen über Glaubenslehre unermüdlich diente, besonders an. Pfarrer Schneider, ein Bayer, war als „Blutordensträger“ verhaftet und interniert worden. Als junger Mann hatte er dem Marsch auf die Feldherrnhalle 1923 beigewohnt. Das war nun sein Verhängnis geworden. Für unseren Lagerpfarrer und unsere Gemeinde war das Auftauchen eines zweiten Pfarrers im Lager eine sehr erwünschte Hilfe. Das kirchliche Leben im Lager hatte inzwischen bereits einen solchen Umfang angenommen, daß ohnehin eine zweite Kraft unbedingt notwendig gewesen wäre und nun war sie plötzlich da! So denken wir mit großer Dankbarkeit an das unermüdliche Wirken dieses Mannes, der trotz seiner schwachen Gesundheit stets zur Stelle war und der Gemeinde mit Wort und Tat diente.

Es gab im Lager einen Ort des Leidens und des Elends von besonderer Art! Das war die „Verbrecherbaracke“. Von allen übrigen Häftlingen abgesondert und eingedrahtet, befanden sich in dieser Baracke diejenigen Internierten, die auf Grund besonderen Beweismaterials oder von Denunziationen des „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ beschuldigt waren und auf ihre Aburteilung warteten. Bunt zusammengewürfelt fanden sich dort ehemalige Kapos der KZ’s, Polizeiführer, Volkssturmführer, Ausländer u.a. rund 100 an der Zahl zusammen. Nur der katholische und evangelische Lagerpfarrer mit seinem Küster hatten Zutritt zu dieser Baracke. Sehr bald hatte sich um unseren Lagerpfarrer ein fester Kreis von etwa 20 Kameraden gebildet, die innerhalb dieser Stätte eine kleine Gemeinde bildeten. Diese kleine Gemeinde hatte es gegenüber den anderen Häftlingen nicht leicht, sie wurde wiederholt verhöhnt und verspottet. Neben dem Tisch, der als Altar hergerichtet war, wurde anfangs noch ostentativ Karten gespielt, doch diese Haltung änderte sich bald, und es wurde so, daß diese unsere geistlichen Sendboten allmählich dankbar begrüßt wurden. Manches ernste seelsorgerische Gespräch brachte etwas Licht in die große Finsternis dieser bejammernswerten Existenzen, und wenn in dem Barackenraum Gottesdienst gehalten wurde, dann hörten auch die, die nicht unmittelbar beteiligt waren, ruhig und still von ihrer Lagerstatt aus zu.



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